Schwerelos
zu bemühen.
Durch den Besuch einiger Super-Sweat-Kurse in Kombination mit Mangelernährung und einer figurformenden Strumpfhose war ich jedoch innerhalb von fünf Tagen einigermaßen fernsehtauglich geworden.
Und hier bin ich: Rosemarie Goldhausen, in wenigen Minuten live auf Sendung!
Ich setze mich in die vorderste Zuschauerreihe. Auf dem Sessel vor mir wird gleich Conradi Platz nehmen.
Die Strumpfhose drückt mir recht unangenehm den Bauch flach und behindert mich deutlich beim Atmen. Aber was soll’s, wer schlank aussehen will, kann nicht auch noch atmen wollen, das weiß man ja als Frau.
Ich versuche mich zu beruhigen. Aber wie? Tief durchatmenkann ich ja leider nicht. Zum Glück fällt mir etwas ein, was meine Pulsfrequenz zumindest aus dem roten, total anaeroben Alarmbereich bringt: Mein Haar sitzt!
Dieser Zustand war mir bisher völlig fremd, und ich bin erstaunt, wie unendlich viel Gelassenheit es mit sich bringt, wenn man sich nicht andauernd fragen muss, was wohl gerade auf dem eigenen Kopf vorgeht.
«Was dagegen, wenn ich kurz Hand anlege?», hatte mich das freundliche Mädchen in der Maske gefragt.
«Mach ruhig», hatte ich mit dem resignierten Tonfall einer Mutter von drei wirklich schwer erziehbaren Kindern geantwortet.
Und dann geschah das Wunder. Sie bürstete und föhnte, zupfte und knetete, und ich verwandelte mich vor meinen eigenen Augen in die Frau, die ich immer schon sein wollte: pflaumenfarbener Lidschatten, der meine Augen optisch vergrößerte und meine Schlupflider in ihre Schranken verwies. Dazu ein Make-up, das aus meiner Haut die Haut einer ungeschminkten Fünfzehnjährigen machte. Bei den Konturen meiner Lippen hatte das Mädchen gekonnt geschummelt – wenn ich so was selber versuche, sehe ich regelmäßig aus wie die aufgespritzte Gattin eines auf nicht ganz legalen Wegen zu Reichtum gekommenen Düsseldorfer Bauunternehmers.
Aber das Allerbeste war meine Frisur. Ich will nicht unbescheiden sein, aber ich fand, ich sah auf dem Kopf original aus wie Winona Ryder. Glatt und seelenruhig lag mein Haar an meinem Kopf an, eine mädchenhafte Strähne fiel mir wie zufällig in die Stirn. Keine Kringel, keine Stacheln, keine unerwünschten Beulen und Borsten. Ist das herrlich, wenn man nicht man selbst ist!
Theo Bertram kommt ins Studio und plaudert zum Aufwärmen mit einigen Zuschauern in der vorderen Reihe. Er schaut mich, wie ich finde, lange an – und ich kann ihn verstehen.
Sein taubenblaues Hemd ist beckmannmäßig weit geöffnet. Haare auf der Brust! Ausgerechnet jetzt, wo ich mich mental auf meinen bevorstehenden Auftritt konzentrieren sollte, fällt mir ein, dass ich tatsächlich noch nie mit einem Mann geschlafen habe, der Haare auf der Brust hatte. Bisher hatte ich das allerdings noch nicht als Manko empfunden. Aber jetzt, wo ich in wenigen Monaten in den sicheren Hafen der Ehe einfahre, in dem ich vermutlich keinen behaarten Männern mehr begegnen werde, erscheint es mir wie ein ungeheuerlicher Verzicht.
Ich habe in meinem Leben mit sechs Männern geschlafen, von denen ich mir, bei ehrlicher Analyse, drei hätte sparen können. Erdal, mit dem ich neulich darüber gesprochen hatte, meinte, das sei doch ein respektabler Schnitt, denn einen Ausfall von fünfzig Prozent müsse man mindestens einkalkulieren. Was ihn jedoch völlig aus der Fassung brachte, war die Anzahl meiner Sexualpartner.
«Goldimaus, da bist du ja quasi noch Jungfrau!», hatte er entsetzt gerufen. «Hattest du etwa auch noch nie Gruppensex? Sex mit einer Frau? Mit zwei Frauen? Auf einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Tisch? Nicht mal auf dem Klo?» Ich hatte verlegen verneint, und Erdal hatte mehrfach den Kopf geschüttelt und mir dann ungefragt versprochen, niemandem von meiner Schmach zu erzählen.
Ich blieb zurück mit dem äußerst unguten Gefühl, in meinem Leben Wesentliches versäumt zu haben, für das es nun bald endgültig zu spät sein würde.
Ups. In meiner Handtasche klingelt es.
«Herr Conradi? Das passt jetzt gerade wirklich nicht so gut. Wo stecken Sie überhaupt? Die Show geht gleich los!»
«Regen Sie sich jetzt bitte nicht auf, Marie, aber ich sitze im Taxi auf dem Weg nach Hause.»
«Herr Conradi!»
«Sie wissen, ich bin ansonsten eher der pflegeleichte Typ, aber das war mir einfach zu viel. Das Valium hat auch gar nicht so gut angesprochen wie sonst. Könnte es sein, dass das Verfallsdatum bereits überschritten ist? Nicht dass ich Ihnen deswegen Vorwürfe machen
Weitere Kostenlose Bücher