Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
Vom Netzwerk:
würde, aber   …»
    Regina rennt auf mich zu, Panik im Gesicht.
    «Wo ist der verfluchte Kerl?»
    «Weg.»
    «Wie weg?»
    «Etwas Dringendes mit seiner Frau, aber nichts wirklich Schlimmes.»
    «Verdammt! Dann musst du Conradis Platz einnehmen. Du kennst sein Buch ja auswendig. Marie, du schaffst das. Und halt bloß die Knie zusammen. Das sieht sonst scheiße aus im Fernsehen.»
    Ich schaffe es gerade noch, mir einen von Conradis Betablockern in den Mund zu schieben.
    «Noch fünf Sekunden», ruft der Aufnahmeleiter, und es entsteht eine Stille, wie man sie aus Katastrophenfilmen kennt, kurz bevor der Staudamm bricht, der Meteor einschlägt oder die Atombombe gezündet wird. Mein Herz rast davon, und Theo Bertram sagt in die Kamera:
    «Herzlich willkommen! Unser Thema heute Abend: Ist die Ehe ein Auslaufmodell? Darüber diskutiere ich mit dem Musiker Sebastian Lederer, der Lektorin RosemarieGoldhausen und Hubertus Weber, dem Zweiten Bürgermeister und Familiensenator der Freien und Hansestadt Hamburg.»

    Das konnte doch nicht sein! Regina hatte es fertiggebracht, ihren Liebhaber einzuladen!
    Der Mann ist mir besser bekannt unter dem Kosenamen Hubbi. Als ich ihn das letzte Mal sah, stand er im Trainingsanzug im Flur meiner Wohnung und trug eine Schwimmbrille.
    Frank war auf Geschäftsreise, und ich hatte den beiden für den Abend unsere Wohnung geliehen. Sie wollten ihr dreijähriges Affärenjubiläum auf ganz besondere Weise feiern: mit der Simulation von Alltag.
    «Wir wollen zusammen kochen, zusammen fernsehen, Sex haben auf dem Küchentisch, auf der Waschmaschine und so weiter. Na, du weißt schon, endlich das tun, was normale Paare jeden Tag tun. Das ist für uns der absolute Ausnahmezustand!» Ich hatte Regina nicht gesagt, dass meine Waschmaschine noch Jungfrau war – und der Küchentisch höchstwahrscheinlich auch, wir haben ihn allerdings gebraucht gekauft.
    Seiner Frau hatte Hubbi gesagt, er werde den Abend im Fitness-Center verbringen und ausgiebig schwimmen. Um sein Alibi möglichst wasserfest zu gestalten, hatte sich Hubbi zehn Minuten bevor er unsere Wohnung wieder verließ, seine Schwimmbrille aufgesetzt. So würde er seiner Frau mit unglaublich glaubwürdigen Abdrücken um die Augen entgegentreten.
    Was ich an dieser Begegnung mindestens so eindrücklich fand wie die Schwimmbrille im Gesicht des Zweiten Bürgermeisters, war die Tatsache, dass er sich überhaupt nicht schämte oder lächerlich vorkam.
    Aber ehrlich gesagt hat man ja oft den Eindruck, dass Politiker generell überhaupt nicht mehr wissen, wann sie sich schämen oder lächerlich vorkommen sollten.
    Trotzdem bewunderte ich seine stoische Selbstsicherheit.Er begrüßte mich in meinem Flur mit einer so selbstverständlichen Gastgeberattitüde, als würde nicht ich, sondern er hier seit Jahren wohnen. Kein Zeichen von Verlegenheit. Beneidenswert.
    Und dieser Mann sitzt mir jetzt als Verfechter von Treue und Ehe gegenüber, und ich befürchte, er kommt sich auch dabei kein bisschen doof vor.
    «Herr Weber», fragt Theo Bertram, «Sie sind seit achtzehn Jahren verheiratet. Sind Sie auch glücklich verheiratet?»
    Hubbi räuspert sich und wirft mir einen schwer zu deutenden Blick zu.
    «Absolut. Aber ehe ich auf Ihre Frage eingehe, lassen Sie mich sagen, dass für die CDU die Ehe ein zentraler   …»
    Ab dann habe ich nur wenig Erinnerung an die nächsten neunzig Minuten. Ich registriere noch, dass Hubbi mich versehentlich immer «Frau Goldmann» nennt, aber ansonsten bin ich wie in Trance. Ich höre meiner Stimme zu, höre mein Herz rasen und mein Blut rauschen. Ich versuche, nicht in Panik aus dem Studio zu rennen oder in Tränen auszubrechen. Ich versuche, die Knie zusammenzuhalten. Ich versuche zu überleben.
    Und ich überlebe.
    Aber nur fast.
    Vor mir wird eine Tafel hochgehalten: «Noch zwei Minuten.»
    Ich hab’s geschafft! Mein Puls ist vollkommen ruhig geworden. Rosemarie Goldhausen: Fernsehstar!
    Bei meinem Schlusswort zitiere ich sogar noch Conradis Lieblingsspruch von Sokrates: «Heirate oder heirate nicht – du wirst es in jedem Fall bereuen.» Das Publikum lachtund klatscht, und ich lausche zufrieden meinem Herzschlag. Wirklich ein attraktiver Mann, dieser Theo Bertram. Ob ich zu wenig Sex habe?
    Ich spüre die Haarsträhne auf meiner Stirn, die sich in den letzten neunzig Minuten keinen Millimeter von der Stelle bewegt hat.
    Mein Haar ist die Ruhe selbst.
    Ich bin auch die Ruhe selbst.
    Bum. Bum. Bum   … Mein Herz

Weitere Kostenlose Bücher