Schwerelos
und mehr schlecht als recht amputierten Gliedmaßen berichten, schildern Mütter stolz und anschaulich Dammschnitte und Zangengeburten.
Bei der einen hat die Narkose nicht gewirkt. Eine hat nach achtundvierzig Stunden Wehen dann doch einen Kaiserschnitt bekommen. Und eine erzählte in aller Ausführlichkeit, dass sie zwei Jahre nach der Geburt immer noch inkontinent sei und nur auf weichen Gummibällen sitzen könne. Sie schloss ihren unwillkommenen Vortrag mit dem Satz: «Nach zwanzig Stunden war die Saugglocke eine Offenbarung, obschon ich dachte, mich zerreißt es.»
Ich reagierte mit schlagartiger Appetitlosigkeit. Und bekamdann noch den oberdämlichen Standardsatz zu hören: «Aber in dem Augenblick, in dem du dein Kind in den Armen hältst, hast du alles vergessen.»
«Ach was», hatte ich missmutig gesagt, «wenn du alles vergessen hättest, könntest du ja kaum seit einer Viertelstunde Schauergeschichten erzählen. Nee danke, ich will kein Kind, ich will lieber noch ’n Bier.»
Ich beschloss, Leonie vorsichtig den Gedanken an einen Wunschkaiserschnitt schmackhaft zu machen. Eine geräuscharme und zeitlich überschaubare Angelegenheit, wie mir schien. Es wird schon seinen Grund haben, dachte ich mir, warum immer mehr Frauen freiwillig per Kaiserschnitt entbinden, besonders so schöne und reiche Leute wie Claudia Schiffer und Angelina Jolie. Vorbildlich fand ich die Haltung meiner Freundin Regina: «Es gibt ja keinen Orden fürs natürliche Gebären. Meinen Kaiserschnitt fand ich super. Zack, raus damit! Außerdem hatte ich keinen Bock, nachher eine gullydeckelgroße Vagina zu haben.»
Also wenn das kein überzeugendes Argument ist.
«Oooooong Naaaamoooooooo! Guru deeeeeeeev namooooooooo!»
Ich reiße in panischem Schrecken und einem Herzinfarkt nahe die Augen auf. Mitten in die Stille und meine turbulenten Gedanken hinein, brüllt die Yoga-Anführerin unvermittelt ihr Entspannungsmantra. «Und jetzt suchen wir den Dialog mit unserer Gebärmutter.» Aber meine Gebärmutter schweigt. Beharrlich.
Dafür klingelt mein Handy. Beharrlich.
«Herr Conradi, es passt jetzt gerade nicht so gut.»
«Gut, dann reden wir eben in den nächsten Tagen.»
«Was? Moment!»
Ich haste alarmiert zum Ausgang. Einen derart kleinlauten Conradi, der sich ohne Gegenwehr abwimmeln lässt, hatte ich noch nie erlebt. Hier musste ein wirklicher Notfall vorliegen.
Die werdenden Mütter schauen mir mit kollektiver Abneigung nach, und zwar mit dieser unerträglichen Mia-Farrow-artigen Form sanfter Aggression, wie sie Schwangeren oft zu eigen ist, die sich eigentlich zu erhaben vorkommen, um so ein profanes Gefühl wie Ärger überhaupt zu empfinden.
Erleichtert, den vorwurfsvollen Gebärmüttern entkommen zu sein, setze ich mich vor der Turnhalle auf eine Bank.
«Herr Conradi, wenn es um meinen gestrigen Auftritt bei ‹Bertram› geht, möchte ich mich wirklich bei Ihnen entschuldigen. Ich hatte ein paar zu viel von Ihren Betablockern genommen und …»
«Ich habe die Sendung nicht gesehen.»
«Entschuldigen Sie, aber das kränkt mich jetzt mal. Ich springe für Sie ein, und Sie interessiert nicht die Bohne, wie ich mich gemacht habe. Ich muss schon sagen, sehr feinfühlig, Herr Conradi.»
«Meine Frau betrügt mich.»
«Oh!»
«Sie glaubte natürlich, ich säße in dieser Talkshow. Als ich dann vorzeitig nach Hause kam, lag sie mit einem Mann in unserem Ehebett. Ist das nicht unglaublich geschmacklos?»
Ich ziehe es vor, einfühlsam zu schweigen und Herrn Conradi in dieser angespannten Lage nicht darauf hinzuweisen, dass er seine Frau bereits seit Jahren betrügt.
«Ich weiß, was Sie jetzt gerade denken. Aber erstens war das Ehebett für mich immer tabu, und zweitens wusste meine Frau, auf wen sie sich einließ. Ich bin ein hundertprozentig loyaler, aber kein treuer Ehemann. Das ist jedem klar, der mich kennt. Aber meine Frau hat mir in all den Jahren den Eindruck vermittelt, eine durch und durch monogame Person zu sein. Das nenne ich wahren Betrug!»
«Wie haben Sie reagiert?»
Man kennt die Situation ja aus etlichen schlechten Filmen, die nach Mitternacht auf RTL 2 laufen. Im eigenen Ehebett erwischt: Irgendwie peinlich, wenn einem eine derart verstaubte Szene im eigenen Leben widerfährt. Das ist ja dann bei all dem Ärger, den man sowieso schon hat, noch nicht einmal eine gute Geschichte. Aber auch das sage ich Herrn Conradi natürlich nicht. Betrogene Männer haben gemeinhin ja nur wenig Sinn für
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