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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Humor.
    «Wie ich reagiert habe, Marie? Angemessen, würde ich sagen. Immerhin habe ich einen Bestseller darüber geschrieben, wie man in Krisensituationen präzise Entschlüsse fasst.»
    «Gut, dass Sie die Nerven bewahrt haben. Sonst macht man sich in so einer Situation auch noch zum Volltrottel. Ich wusste immer, dass Sie   …»
    «Marie, ich habe seine Hose und seine Boxershorts aus dem Fenster geschmissen, mit dem Kaminhaken die Spiegeltür des Kleiderschrankes zerschlagen und den Typen als stummelschwänzige Ratte beschimpft. Das Kapitel in meinem Buch ‹Diskrete Untreue – ein modernes und intelligentesRezept› werde ich für die nächste Auflage überarbeiten.»
    «Haben Sie danach schon mit Ihrer Frau gesprochen?»
    «Natürlich nicht. Ich bin nicht an mein Telefon gegangen. Ich will sie leiden sehen, bis sie mich auf Knien um Vergebung anfleht. Aber sie hat gar nicht versucht, mich anzurufen. Und ihr Handy ist ausgeschaltet.»
    «Kannten Sie den Mann in Ihrem Bett?»
    «Ja. Und Sie kennen ihn auch. Ich verdanke Ihnen, dass ich ein Bestsellerautor bin, aber Sie sind es, die meiner Frau einen Liebhaber besorgt hat. Ich finde, wir sind jetzt quitt.»
    «Ich habe wirklich Schwierigkeiten, Ihnen zu folgen, Herr Conradi.»
    «Es ist Carlos, der Pilates-Lehrer, den Sie meiner Frau und mir empfohlen haben. Nach der ersten Stunde bin ich nie wieder mitgegangen. Ich bin nicht der Typ, der sich zu Sphärenklängen mit einem Gummiball unterm Arsch auf einer grünen Turnmatte rumwälzt. Ich dachte, dass meine Frau mich nach der zweiten gemeinsamen Pilates-Stunde nicht mehr lieben würde, falls sie das überhaupt jemals getan hat. Ich hätte doch auch keinen Respekt vor einem Mann, der Thera-Bänder als Trainingsutensilien akzeptiert. Ich bin über fünfzig. Da spielt man entweder Golf oder Fußball in der Altherrenmannschaft von St.   Pauli. Alles andere wäre lächerlich. Meine Frau ist dann immer ohne mich zum Pilates gegangen und hat Carlos zu ihrem Personal Trainer gemacht. Sie dürfen jetzt ruhig lachen, Marie.»
    «Was werden Sie jetzt tun?»
    «Das, was ich gerade tue.»
    Conradis Stimme ist plötzlich so kalt, dass mir angst und bange wird. Ich sehe mich bereits in einem Pilates-StudioLeichenteile zusammensammeln, in Müllbeutel verpacken und in einer stürmischen Nacht in der Elbe versenken.
    «Wo sind Sie?»
    «Am Flughafen. Ich verschwinde.»
    «Das können Sie nicht machen! Was wird aus unserem neuen Buch?»
    «Ein Bestseller. Heißt es nicht immer, dass große Prosa nur durch großes Leid entstehen kann? Demnach habe ich diesmal beste Voraussetzungen. So, ich muss ins Flugzeug einsteigen. Und bitte sagen Sie niemandem, wo ich bin.»
    «Aber ich weiß doch gar nicht, wo Sie hinfliegen.»
    «Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich angekommen bin. Und zu niemandem ein Wort. Das gilt auch für meine Frau. Und versuchen Sie erst gar nicht, mich zu erreichen. Ich habe mein Handy zu Hause gelassen.»
    «Was ist mit Ulrike?»
    Conradis Geliebte konnte doch jetzt darauf hoffen, seine zweite Frau zu werden.
    «Ich habe ihr einen Brief geschrieben, der sie hoffentlich fürs Erste beruhigen wird. Ich habe ihr das Ganze als schriftstellerisches Experiment verkauft. Und das ist es im Grunde ja auch.»

«Ich habe genau so viel Sex, wie ich haben will»

    Vier Uhr. Die schwärzeste und einsamste Stunde der Nacht. Ich schaue hinunter auf die Welt. Früher lag sie mir zu Füßen. Früher fühlte ich mich erhaben und wie verzaubert, wenn ich hier saß und auf die Straßen Berlins blickte. Wie eine heimliche Herrin auf ihrem zwölf Stockwerke hohen Thron. Aber früher saß ich hier ja auch nie allein.
    Heute und ohne dich ist mein Thron die kalte Fensterbank in deinem winzigen Appartement am Alexanderplatz. Strom und Heizung sind seit Wochen abgestellt. Die Fenster haben immer schon schlecht geschlossen, und die Kälte hat auch das Letzte von Rosemarie Goldhausen mitgenommen: ihren Geruch nach Magnolien.
    «Nächsten Monat zieht ein neuer Mieter ein», hatte der Hausmeister gesagt und mir ein Paket in die Hand gedrückt. «Das ist für Sie. Viel ist es ja nicht, was Ihre werte Frau Tante Ihnen hinterlassen hat. Mein Beileid.»
    Mit zitternden Händen hatte ich das Paket geöffnet: ein in Seidenpapier verpacktes Buch und ein Paar hochhackige Riemchenschuhe mit einer verblichenen roten Stoffrose auf der Spitze.
    Wieder und wieder hatte mir Tante Rosemarie die Geschichte von den Schuhen erzählt. Als ich noch klein war,und

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