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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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wiedergefundener Freund, ein verschwundener Bestsellerautor und Herzrasen beim Anblick eines Talkshow-Moderators – trotz einer Handvoll Betablocker.
    Seit du tot bist, komme ich nicht zur Ruhe. Ist das dein Vermächtnis? Hast du mir statt einer Million Euro eine Million Zwiebackkrümel in meinem Bett hinterlassen?
    Mein jetziger Gemütszustand würde dir gefallen – der eigentlich kein Zustand ist, sondern eine Katastrophe. Ich komme mir vor wie eine Erdbebenregion kurz nach einem Beben. Nichts ist mehr an Ort und Stelle.
    «Eindeutig ist nur der Tod», hast du immer gesagt. Und in deinem Fall stimmt noch nicht einmal das.
    Ich stelle mir deine letzten Sekunden vor. Hattest du noch Zeit, Angst zu haben? Um dein Leben zu fürchten? Hast du geschrien, geflucht? Oder gebetet? Wurden Sekunden zu Stunden? Lief noch einmal dein ganzes Leben im Zeitraffer vor dir ab? Und wenn ja: Welche Rolle habe ich gespielt? War ich für dich Sorge oder Hoffnung? Und, Tante Rosemarie, hast du Schmerzen gespürt, als du im Feuerball verglüht bist?
    Mir schmerzt das Herz bei den Gedanken an deinen Tod und bei den Gedanken an mein Leben ohne dich.
    Es riecht doch so, als wärst du noch da! Als würdest du, vertrauter, lieber Anblick, in deinem türkisfarbenen Morgenmantel neben mir am Fenster sitzen, die nackten Füße in heruntergekommenen Herrenpantoffeln, in der einen Hand ein Glas Whisky, die andere auf meinen Arm gelegt.
    «Ach, mein Liebchen», würdest du sagen und dann irgendwas erzählen, was ich jetzt so gerne hören würde.
    Ich weine zum ersten Mal, seit ich weiß, dass du tot bist. Und dann aber auch gleich so laut und so verzweifelt, dass ich beinahe mein Telefon nicht höre. Es ist Theo Bertram, und ich weiß, Tante Rosemarie, dass du Verständnis dafür gehabt hättest, dass ich da jetzt wirklich drangehen muss.
    «Goldhausen», sage ich mit triefnasser Stimme.
    «Hier spricht Theo Bertram. Störe ich?»
    «Nein. Ich tue mir nur grad selber leid.»
    «Oh. Ich hoffe, das hat nichts mit mir zu tun?»
    Typisch, solche Männer beziehen immer alles auf sich – und haben damit auch meistens sogar noch recht. Natürlich hat meine derzeitige Krise auch mit ihm zu tun. Er hat mich geküsst! Mich, eine fast verheiratete Frau!
    Nach einer Talkshow gibt es für die Teilnehmer ja noch etwas, was sich Get Together nennt. Und da hatte sich, wie ich fand, Theo Bertram durchaus um mich bemüht. Als ich ihm zum Abschied formvollendet die Hand geben wollte, ignorierte er sie und küsste mich.
    Nicht stürmisch, nicht leidenschaftlich, eher sanft wie eine Feder. Und ehe ich verstanden hatte, was los war, und in innerliche Verhandlungen treten konnte, ob ich diesen Kuss erwidern sollte – war er auch schon vorbei.
    «Frau Goldhausen, sind Sie noch dran? Mein Kuss bei unserer Verabschiedung – ich hoffe, er hat Sie etwas durcheinandergebracht.»
    Er hat seiner Stimme einen unanständigen Klang verliehen, der mir wohlig das Rückgrat herunterkrabbelt. Erst jetzt fällt mir auf, dass es vier Uhr morgens ist.
    «Herr Bertram», sage ich mit verspäteter Entrüstung, «es ist vier Uhr morgens!»
    «Verzeihen Sie bitte. Ich komme gerade von den Lead Awards in den Deichtorhallen. Ich bin etwas angetrunken und deswegen mutig genug, Sie anzurufen. Aber der Zeitpunkt ziemt sich natürlich nicht. Soll ich mich später nochmal melden?»
    «Was meinen Sie mit später? So gegen halb sechs vielleicht?Es ist schon in Ordnung, ich war sowieso noch wach. Ich sitze auf der Fensterbank einer Berliner Hochhauswohnung und trauere um meine tote Tante.»
    Keine Ahnung, warum ich das sage, warum ich so offen bin einem Mann gegenüber, der mich erst einmal gesehen hat, mit Fernseh-Make-up im Gesicht, und der mich auf der Straße nicht wiedererkennen würde. Aber mir gefällt es, in einem kalten, leeren Zimmer mit einem beinahe Fremden zu telefonieren. Ich komme mir ungewöhnlich vor. Und das ist mir in meinem Leben nicht oft genug passiert. Wo immer sie auch ist, ich bin mir sicher, Tante Rosemarie lächelt gerade.
    «Sind Sie Ihrer Tante ähnlich?»
    «Leider nicht. Bisher zumindest nicht.»
    Anderthalb Stunden später lege ich auf. Lange her, dass ich jemandem so viel von mir erzählt habe – und dass jemand so viel von mir wissen wollte.
    Und morgen habe ich eine Verabredung!
    «Wenn Sie ohnehin in Berlin sind, begleiten Sie mich doch zum Filmball. Mein Fahrer wird Sie um halb acht abholen. Guten Morgen, Marie, und danke für die schöne Nacht.»

    So langsam

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