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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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ordentliche Portion Misstrauen ist hier mit Sicherheit angemessen.
    «Spröde und unergründlich» hat er mich genannt. Das ist zwar Blödsinn, hat mir aber ausnehmend gut gefallen. Er ist so begeistert und verblüfft davon, dass ich nicht sofort mit ihm ins Bett gegangen bin, dass er sich jetzt tatsächlich richtig ins Zeug legt und mir alle möglichen Eigenschaften unterstellt, die ich gerne hätte.
    Kurz vor dem Abflug kam erneut eine SMS von ihm:«Marie, muss ich Sie in meine Sendung einladen, um Sie endlich wiederzusehen?»
    Und ich muss sagen, mein Widerstand schmilzt allmählich dahin. Frank war noch die ganze nächste Woche im Ausland, die Zeit war günstig für ein Abenteuer, und schließlich würde ich Erdal, Leonie und Regina einen großen Gefallen damit tun, wenn ich ihnen endlich den vollzogenen Beischlaf melden könnte. So gesehen sprach ja eigentlich wirklich nichts gegen eine Verabredung mit Theo Bertram.
    Meiner mahnenden inneren Stimme stopfte ich kurzerhand das Maul mit dem beliebten Conradi-Satz: «Du bereust nicht das, was du getan hast, sondern das, was du nicht getan hast.»
    Ich hatte Conradi immer gesagt, dass dieser Satz gut klinge, jedoch total falsch sei. Aber ich finde, man muss seine Standpunkte auch mal wechseln dürfen. Ich hatte definitiv viel zu viel nicht getan.
    Sobald ich Conradi gefunden hatte, würde ich mir Gedanken darüber machen, ob ich vor dem Treffen mit Theo Bertram Selbstbräuner benutzen sollte oder nicht.
    Das Problem beim Selbstbräuner ist nämlich, dass er zwar bräunt, aber auch stinkt. Du hast also die Wahl zwischen einem kalkweißen, duftenden Körper oder einem ansehnlich gebräunten, müffelnden Körper. Ich würde zu diesem Thema eine Sondersitzung mit Regina einberufen müssen.
    «Bitte klappen Sie die Tabletts hoch und bringen Sie Ihre Sitzlehne in eine aufrechte Position. Wir beginnen den Landeanflug auf Paris.»
     
    Ich war erst einmal in Paris.
    An meinem achtzehnten Geburtstag, vor nahezu zwanzig Jahren. Tante Rosemarie hatte mir zu meiner Volljährigkeit ein verlängertes Wochenende in Paris geschenkt. Paris und ich, wir passten so perfekt zusammen, weil wir nichts gemeinsam hatten. Wie ein leidenschaftliches Liebespaar, bei dem sich die Gegensätze anziehen und das nichts hält von der öden Faustregel: Gleich und Gleich gesellt sich gern.
    Paris hat mich betört und abgestoßen, inspiriert und eingeschüchtert, alles gleichzeitig. Ich habe die Frauen beneidet, die hier zu Hause sein durften und am frühen Abend in den Straßencafés Wein tranken und mit Männern parlierten, die meiner Meinung nach alle aussahen wie Alain Delon.
    Ich mochte es sehr, Französisch zu sprechen, und ich sprach es wirklich gut. Die Sprache, hatte ich den Eindruck, machte einen anderen Menschen aus mir. Sie zwingt einen geradezu, laut und emotional zu werden und jedes Wort mit einer südländisch-ausladenden Geste zu unterstreichen. Es ist nicht so, dass die Pariserin von Natur aus schöner ist als andere Frauen, sie findet sich bloß schöner – und das macht eine ganze Menge aus.
    Drei Tage durchstreifte ich mit Tante Rosemarie die Stadt. Wir konnten den Eiffelturm beide nur von weitem leiden. «Er ist wie ein Filmstar», sagte Rosemarie. «Je näher man ihm kommt, desto enttäuschter ist man von ihm.» Wir liebten es, im Palais Royal im 1.   Arrondissement Pastis zu trinken, durch das Marais zu bummeln und bei Sonnenuntergang auf dem Pont Alexandre zu stehen. Abends kehrten wir erschöpft zurück an den herrlichsten Ort der Welt: ein großes Zimmer mit einem kleinen Balkon, auf den zwei Klappstühlepassten, am Quai d’Anjou auf der Île Saint-Louis, der kleinen Insel hinter Notre-Dame.
    Rosemarie hatte das Appartement von einem Bibliothekar zur Verfügung gestellt bekommen, der vor vielen Jahren einmal ihr Liebhaber war.
    Nachts saßen wir auf unserem Balkon und schauten auf die Liebespaare in den Cafés runter. Ich freute mich auf mein Leben und versprach mir, einen großen Teil davon in Paris zu verbringen.
    Ich bin nie wieder zurückgekommen.
    Hamburg passt ja auch viel besser zu mir. Gleich und Gleich gesellt sich gern.
    Michael Conradi würde in Paris sein – und zwar meinetwegen. Ich hatte ihm erzählt, wie glücklich ich hier war und dass ich unbedingt noch einmal in der Abenddämmerung auf dem Pont Alexandre stehen und meine Sorgen vergessen wolle. Und ich glaube, das will er auch. Und ich glaube, er hofft, dass ich ihn hier finde.

«Muttermund tut Wahrheit

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