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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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kund»

    «Nimm die Hände von meinem Arsch!»
    «Liebes, das wird dir guttun.»
    «Ich will das aber nicht!»
    «Aber alle anderen machen es doch auch.»
    «Alle anderen sind ja auch bescheuert!»
    Nun, da musste ich Leonie wirklich recht geben, auch wenn es durchaus unpassend war, ihre Meinung hier so laut hinauszutröten. Wir gehörten sowieso schon zu den unbeliebteren Mitgliedern der Gruppe.
    Ich darf getrost sagen, dass dieser Geburtsvorbereitungskurs zu den Grenzerfahrungen meines bisherigen Lebens gehört.
    In diesem Moment stehen zwölf hochschwangere Frauen vornübergebeugt an der Wand, rufen beim Ausatmen so laut wie möglich Aaaaaaaah!, während ihnen gleichzeitig ihre Partner mit beiden Händen kräftig an beiden Pobacken rütteln. Und das ist kein mieser Scherz, sondern die Wehenübung «Apfelschütteln».
    Leonie, die dreizehnte schwangere Teilnehmerin, verweigert aus mir verständlichen Gründen die Mitarbeit: «Da ist mir ein Kaiserschnitt ohne Narkose lieber als so was!»
    Leonie ist in den letzten Tagen etwas gereizt, was ich gut verstehen kann. Sie hat seit geraumer Zeit ihre Füße nichtmehr gesehen, und wenn sie etwas fallen lässt, überlegt sie sich sehr gut, ob sie es aufhebt oder ob es bis nach der Niederkunft liegen bleiben kann.
    Zu den körperlichen Einschränkungen kommt bei Leonie die typische Schwangerschaftsdemenz. Eine hormonbedingte Tüdeligkeit, die dazu führte, dass Leonie vergangene Woche ein halbe Stunde mit der Mülltüte in der Hand spazieren ging, die sie eigentlich hatte entsorgen wollen. Außerdem hatte sich Leonie kaltes Badewasser einlaufen lassen, das Altglas in den Schmutzwäschekorb geworfen und versucht, sich mit der Fernbedienung des DV D-Recorders ein Taxi zu rufen. Dann hatte sie am E C-Automaten ihre Pin-Nummer rückwärts eingegeben, aber geglaubt, die Bank hätte die Zahlenkombination mutwillig geändert, und sich beim Filialleiter bitter beschwert.
    Als ich Erdal und Leonie zum Geburtsvorbereitungskurs abholte, standen die beiden trotz strömenden Regens bereits vor der Tür. Aus den geöffneten Fenstern wehten nach verschmortem Plastik stinkende Rauchschwaden.
    «Was ist passiert, Erdal?», fragte ich aufs höchste alarmiert.
    «Nichts. Leonie wollte schon mal ein paar Schnuller abkochen, hat aber den Topf auf dem Herd vergessen. Kann ja mal vorkommen. So was ist ja gar nichts gegen meine Ohnmacht von gestern Abend. Da hat mir ein Mitarbeiter beim späten Bierchen anvertraut: ‹Das Geräusch beim Dammschnitt werde ich niemals vergessen.›»
    Mir persönlich ist dieses ganze Kinderkriegen ja irgendwie viel zu archaisch. Warum, frage ich mich, sollen ausgerechnet Geburten unbedingt «natürlich» verlaufen – wo in unserem Frauenleben doch sonst auch nichts mehr natürlichist, außer vielleicht das Make-up und die bernsteinfarbenen Strähnchen im Haar. Nein, so viel Natur bin ich einfach nicht gewohnt.
    Nehmen wir zum Beispiel die Geburtszange. Ein Anblick, den ich mir und besonders Erdal gerne erspart hätte. Warum muss in Zeiten, wo jede Saftpresse von hochbezahlten italienischen Designern entworfen wird, medizinisches Gerät aussehen, als habe sich seit dem frühen Mittelalter keiner mehr um eine Weiterentwicklung bemüht? Das gilt übrigens ganz genauso für die Saugglocke, die die Hebamme als Anschauungsmaterial herumgehen ließ und deren Anblick Erdal nur mit geschlossenen Augen überstanden hatte.
    «Pro Stunde öffnet sich der Muttermund etwa einen Zentimeter», belehrt uns Helga, die Kursleiterin, und hält eine Schautafel hoch, die mich an die eindeutig unangenehmeren Stunden meines Biologieunterrichts erinnert. Jemand sagt: «Muttermund tut Wahrheit kund.» Bei dem Spaßvogel handelte es sich leider um Erdal. Ich denke, die neu erlernten Begriffe «Milchstau», «Kindspech» und «Käseschmiere» vernebeln ihm den Verstand.
    «Und jetzt», sagt Helga, «mache ich euch mal vor, wie Wehen klingen, damit die Männer wissen, was geräuschemäßig auf sie zukommt.»
    Sie schließt die Augen, um sich voll auf ihre erste Wehe zu konzentrieren.
    Was soll ich sagen? Nach der Darbietung – mindestens so gekonnt wie der vorgespielte Orgasmus in «Harry und Sally» – sitze ich da wie vom Donner gerührt und, ungelogen, den Tränen nahe. «Ich hätte dann doch gerne einen Kaiserschnitt», sage ich erschüttert in die Stille, die nach den letzten gellenden Schreien der Hebamme eingetreten war.
    Erdal hatte den Raum bereits fluchtartig verlassen, als Helga

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