Schwerelos
wenig Sex», behauptet Regina schamlos.
«Ich gehe mal Bier holen», behauptet Karsten.
«Ich habe genau so viel Sex, wie ich haben will», sage ich.
«Zweimal im Monat?», fragt Regina.
«Manchmal sogar mehr.»
«Du Tier!»
«Kein Grund, ironisch zu werden, Regina. Ich bin seit fast zehn Jahren mit Frank zusammen, da ist es ganz normal, wenn die Beischlaffrequenz nachlässt.»
«Wach endlich auf. Willst du nicht endlich was erleben, statt nur zu leben? Sex statt Aneinandervorbeischlaf? Ist doch schön, wenn man beim Ficken zu zweit ist.»
«Versuch es doch einfach mal», schlägt Leonie in einem Tonfall vor, als handele es sich um eine Probefahrt mit einem japanischen Gebrauchtwagen. «Ich finde ja, dass Sex ohne Liebe mehr Spaß macht. Man kann sich ganz auf die Biologie konzentrieren und braucht keine Angst zu haben, den anderen zu verschrecken. Wenn ich verliebt bin, will ich gefallen – und schon bin ich verspannt und kriege keinen Orgasmus.»
«Und wenn ich mich richtig in Theo Bertram verliebe?»
Erdal schüttelt vorwurfsvoll den Kopf: «Goldi, nun sei doch nicht so pessimistisch. Mit der Einstellung wird das ja nie was!»
«Warum wieder von vorne anfangen?»
«Sie sollten sich auf keinen Fall überschätzen.»
Mein Verleger Dr. Ludwig Stegele sitzt, die Arme vor der Brust verschränkt, hinter seinem Schreibtisch und wartet, dass seine Worte Wirkung zeigen.
Eigentlich müsste ich jetzt lachen. Darüber, dass mein Verleger tatsächlich glaubt, man müsse mich vor Selbstüberschätzung warnen. Hätte ich doch bloß den Mut, ihn genauso von oben herab zu behandeln wie er mich. Aber ich sitze bewegungslos auf meinem Stuhl vor Stegeles monströsem Schreibtisch und fühle mich genau so klein und nichtsnutzig, wie der Herr Verleger und der Designer des Schreibtisches es möchten.
Meine Vorgesetzte Petra Kern sitzt rechts vom Schreibtisch, links der Vertriebschef Bruno Zilinski, mit dem sie seit zwei Jahren heimlich, wie sie glaubt, schläft. Beide wirken hämisch zufrieden.
Die Kern hat es nie verwunden, dass ich den Bestseller entdeckt habe, den sie übersehen hat. Und der Zilinski hasst mich, weil sie mich hasst und er meinetwegen bestimmt etliche vermieste Schäferstündchen hatte.
«Es ist uns durchaus bekannt», sagt Dr. Stegele, «dass Sie Angebote von anderen Verlagen haben. Aber wie lange noch, frage ich mich, wenn bekannt wird, dass Sie den einzigenBestsellerautor, den Sie je entdeckt haben, wieder verloren haben?»
Der Vertriebschef räuspert sich: «Mit Verlaub, Herr Dr. Stegele, aber das Wort ‹entdeckt› trifft den Sachverhalt nicht so ganz. Frau Goldhausen hat in Abwesenheit von Frau Kern in deren Korrespondenz geschnüffelt und daraufhin eigenmächtig Conradi kontaktiert. Wir wollen doch bei den Tatsachen bleiben.» Er wischt sich einen imaginären Krümel aus dem Mundwinkel.
«Ach, Bruno, letztendlich ist es doch das Wohl des Verlages, auf das es ankommt. Ich will wirklich nicht nachtragend sein.»
Ich könnte der Kern eine reinhauen, aber auch das tue ich natürlich nicht. Ich schweige und hasse mich dafür.
Stegele klatscht mit der flachen Hand auf seinen Chefschreibtisch. «Das zweite Buch von Conradi ist unser Schwerpunkttitel im kommenden Herbst. Den Vorabdruck habe ich an den ‹Spiegel› verkaufen können, Conradi ist bei ‹Wetten, dass …?› und Jauchs Jahresrückblick eingeladen, wir haben das Deutsche Theater in Berlin für die erste Lesung gebucht, wir werden hunderttausend Euro für Werbung ausgeben, und es ist uns nach zähem Ringen gelungen, den Titel ‹Liebeslügen› schützen zu lassen. Dieses Buch muss unter allen Umständen erscheinen, Frau Goldhausen, sonst ändern sich hier sehr bald die Gesichter. Haben wir uns verstanden?»
«Aber er ist verschwunden», piepse ich unsouverän.
«Er ist verschwunden, weil Sie inkompetent sind und nicht wissen, wie man mit so einem Autor umgehen muss!», kreischt die alte Kern.
Mein Verleger nimmt seine Brille ab und putzt sie in Zeitlupe.Er spielt mit mir, will mich zermürben. Ich kenne diese Strategie. Leider funktioniert sie bei mir trotzdem ganz prächtig.
«Frau Goldhausen, ich gebe Ihnen einen Monat Zeit, uns wenigstens ein Rohmanuskript zu liefern.»
Ich nicke. Und hasse mich dafür.
Als ich bereits an der Tür bin, räuspert sich Petra Kern: «Ach, liebe Marie, eine Kleinigkeit noch. Würdest du bitte heute noch dein Büro räumen und in dein altes zurückziehen? Wir haben ab morgen eine
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