Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwert und Laute

Schwert und Laute

Titel: Schwert und Laute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
Vom Netzwerk:
die Hölle nehmen«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
    Er ging nicht auf meine Bemerkung ein. Der Himmel begann sich mit purpurfarbenen und blauen Streifen zu überziehen.
    »Vergesst den kleinen Stephen nicht. Wer würde sich um ihn kümmern, wenn mir etwas zustößt? Denkt daran.«
    »Zieht meinen Sohn da nicht mit hinein, Ihr Lump! Er ist unschuldig! Ihr habt versprochen...«
    Lächelnd gab er mich frei.
    »Geht jetzt.«
    Ich kleidete mich an, vergewisserte mich, dass ich die kostbare Schriftrolle, für die ich so teuer bezahlt hatte, bei mir trug, und ging hinaus, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

    Die Straßen waren noch verlassen; nur einige Lieferanten und Händler begaben sich schon in aller Ruhe zum Marktplatz, um dort vor dem morgendlichen Ansturm der Menge Stellung zu beziehen. Benommen und innerlich leer blieb ich noch einige Minuten im Schatten des Portals stehen.
    Die Strecke, die mich vom Gefängnis trennte, schien kein Ende zu nehmen. Der wachhabende Soldat ließ mich mit ratloser Miene vor. Er überflog das auf dem Schreibtisch ausgerollte Dokument, musterte mich dann schamlos und verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln.
    »Es ist noch sehr früh, Madam, momentan ist niemand verfügbar, der dieses Gesuch behandeln könnte... Ich nehme an, Ihr habt es gerade eben erst erhalten?«, fragte er in einem anzüglichen Tonfall.
    Der Schlag, der mich traf, wäre weniger heftig gewesen, wenn er mich geohrfeigt hätte. Angesichts meiner zerzausten Haare, meiner geschwollenen Lippen und meines verstörten Blicks fiel es ihm wahrscheinlich nicht schwer zu erraten, wie ich zu diesem Dokument gekommen war. Ich wich dem zweideutigen Blick des Soldaten aus.
    »Es wird einige Tage dauern, bis die Begnadigung unterzeichnet
wird, falls er sie denn erhält«, meinte er und kratzte sich am Kopf. »Drei oder vier vielleicht.«
    »Ja, ich verstehe...«
    Erschöpft kehrte ich nach Cowgate zurück. Jeder Schritt bereitete mir Schmerzen, in meinem Körper und meiner Seele. Ich fühlte mich beschmutzt, gedemütigt. Meine Röcke klebten mir an Bauch und Schenkeln. In meinem pelzigen Mund nahm ich noch den bitteren Geschmack des Verrats wahr. Von jetzt an musste ich mich auf Liam konzentrieren. Zweifel überfielen mich. Gott mochte mir vergeben, aber würde Liam mir verzeihen? Er durfte nie davon erfahren...
    Alle saßen, tiefe Schatten unter den roten Augen, in der Küche vor einer Tasse dampfenden Tees, den Mrs. Hay gerade eingeschenkt hatte.
    »Bei allen Heiligen im Himmel! Tochter! Was hat man dir angetan?« , rief mein Vater erschrocken.
    »Ich will ein Bad«, murmelte ich und fiel in Ohnmacht.

    Den Rest des Tages weigerte ich mich, jemanden zu sehen, sperrte mich in meinem Zimmer ein und wälzte düstere Gedanken. Meine Haut war immer noch gerötet, so kräftig hatte ich mich mit der Wurzelbürste abgeschrubbt, um jede Spur von Winstons Geruch zu entfernen. Alles, was mein Glück ausmachte, schien in eisigem, grauem Wasser zu versinken, wo es in lichtloser Dunkelheit ertrank. Ich fühlte mich von allem abgeschnitten und von einer Kälte erfüllt, die sämtliche Empfindungen abstumpfte. Erschöpft ging ich zu Bett und überließ mich endlich dem Kummer, der mich niederdrückte. Schließlich sank ich in einen traumlosen Schlaf.

    Ich verschanzte mich hinter meinem Schweigen und gab keinerlei Erklärung über mein Verschwinden ab. Ich war in einen Zustand tiefster Niedergeschlagenheit versunken, der Vater Sorgen bereitete. Patrick hielt sich im Hintergrund. Ob aus Respekt oder Scham, jedenfalls wich er meinem Blick aus. Er hatte alles erraten... Seit unserer frühesten Kindheit besaßen wir beide diese
Fähigkeit, uns ohne Worte zu verständigen. Jetzt teilte er schweigend meinen Schmerz und mein Leid. Ich wusste, dass er mich verstand. Falls Vater etwas argwöhnte, dann ließ er nichts darüber verlauten.
    Am nächsten Morgen wurde ich in Mr. Sinclairs Wagen gesetzt. Er kehrte auf seinen Besitz zurück, um einige Tage bei seiner Familie zu verbringen, und hatte mir freundlicherweise angeboten, ihn zu begleiten; wie er sagte, sei ich zu blass und bräuchte dringend saubere Luft und Sonne. Patrick setzte sich neben mich und hielt während der gesamten Fahrt meine Hand. Zerstreut lauschte ich dem Gespräch zwischen meinem Bruder und Mr. Sinclair, in dem es um die Pferdezucht ging, einer Leidenschaft des Letzteren. Ohne sie wirklich wahrzunehmen, sah ich die Landschaft vorüberziehen, die nichts mit den Highlands,

Weitere Kostenlose Bücher