Schwert und Laute
leise.
»Er wird uns beiden ähneln, Liam.«
»Coll war mir wie aus dem Gesicht geschnitten, aber er hatte das Haar seiner Mutter. Er war wissbegierig, immer zu Streichen aufgelegt und strahlte nur so vor Lebensfreude. Am allerliebsten begleitete er mich auf die Jagd. Ich hatte ihm einen kleinen Bogen in seiner Größe angefertigt. Er war erst vier und zeigte bereits Talent zum Bogenschützen. In seinem Herzen war er ein Krieger. Die alten Legenden über unser Tal faszinierten ihn. Ich konnte ihm dieselbe Geschichte Dutzende von Malen erzählen; er wurde ihrer nie überdrüssig. Manchmal hätte ich nicht übel Lust gehabt, ihm zur Abwechslung welche zu erfinden. Seine liebste Geschichte war die über MacCumhail, den Fiann-Krieger. Du weißt schon, der die Straße der Riesen erbaut hat.«
»Hmmm... Und was erzählt diese Legende?«
Lächelnd sah er mich aus dem Augenwinkel an.
»Du möchtest sie hören?«
»Ja, du musst doch wieder in Übung kommen. Du hast mir nie verraten, dass du die Talente eines schialachdan, eines Geschichtenerzählers, besitzt, mo rùin!«
»Gut«, begann er. »Das ist jetzt wohl fünftausend Jahre her. Fionn MacCumhail, den man auch Fingal nennt, hatte die Aufgabe, den großen König von Irland, Cormac MacAirt, zu beschützen. Sein Vater Cumal, der ehemalige Chief der Fiannas, war von einem seiner eigenen Krieger getötet worden, und Fingal wurde in aller Heimlichkeit im Schutz eines entlegenen irischen Tals großgezogen. Eines Tages fing der Druide Finegas, einer seiner Lehrer, der am Ufer des Boyne-Flusses lebte, den Lachs der Erkenntnis und befahl dem jungen Fingal, ihn zu kochen. Dieser verbrannte sich daran, und als er an seiner Brandwunde saugte, wurde ihm Weisheit verliehen. Er wurde ein so außerordentlicher Krieger, dass man ihn zum Oberhaupt der Fiannas bestimmte. So trat er in die Fußstapfen seines berühmten Vaters. Eines Tages beschloss Fingal, der auch ein großartiger Jäger war, ein wunderschönes Reh zu verschonen, das ihm über den Weg gelaufen war. Das Reh folgte ihm bis nach Hause, und in derselben Nacht erwachte Fingal und fand die schönste Frau, die er
je gesehen hatte, neben seinem Bett stehen. Das war Sadb. Ein Zauberer hatte sie mit einem Fluch bewegt, und sie war dazu verurteilt, in der Gestalt des Rehs zu leben. Aber wenn Fingal sie wirklich liebte, würde sie wieder zu einer Menschenfrau werden.«
Er legte eine Pause ein, um mir übers Haar zu streichen und mich auf die Stirn zu küssen.
»So liebten sie sich und waren einige Monate lang glücklich. Dann, eines Tages, mussten die Fiannas wieder zu den Waffen greifen und gegen die Wikiniger kämpfen. Als sie zurückkehrten, war Sadb verschwunden, entführt von dem Zauberer, der Fingals Gestalt angenommen hatte, um sie zu täuschen. Er sollte sie nie wiedersehen. Doch bei einer Jagdpartie stießen die Männer auf einen Jüngling, den Fingals zwei besten Hunde gegen den Rest der Meute verteidigten. Der Junge erklärte, er kenne seinen Vater nicht, aber seine Mutter sei ein sanfts Reh, das in diesem Tal lebe. Fingal erkannte, dass er der Sohn war, den Sadb ihm geschenkt hatte, und gab ihm den Namen Ossian. Man lehrte ihn die Waffenkunst, und er wurde ein ebenso großer Krieger wie sein Vater. Und da Ossian die Redegabe seiner Mutter geerbt hatte, wurde er auch ein hervorragender Dichter. Später lebten Fingal und Ossian mit den Fiann-Kriegern in unserem Tal. Sie führten Krieg bis zu den Hebriden und kehrten sogar häufig nach Irland zurück. Am Nordhang des Aonach Dugh liegt eine Höhle, die Ossians Namen trägt. Es heißt, dort habe er sich mehrere Jahre lang versteckt, um seine Gedichte zu verfassen. In diesem Tal auch schlugen die Fiannas mehrmals die Angriffe der Wikinger zurück, aber die größte Schlacht war die gegen Earragan. Dieser Wikinger tauchte mit zwanzig Schiffen im Loch Leven auf und landete in Laroch, knapp eine Meile westlich der Mündung des Coe. Fingals Männer hoben in den Hügeln unterhalb des Pap von Glencoe Gräben aus – die übrigens noch heute zu sehen sind –, versteckten sich darin und warteten auf die Wikinger. Die Kämpfe dauerten länger als eine Woche. Es heißt, das Wasser des Loch habe sich rot gefärbt. Earragan war gefallen, und von den Feinden hatten so wenige überlebt, dass sie nur zwei der vierzig Schiffe besetzen konnten. Die Leichen der Krieger, die in dieser erbarmungslosen
Schlacht getötet wurden, sind unter den Wiesen von Laroch begraben, und die Offiziere in
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