Schwerter der Liebe
flüsterte, während sie seine heiße Haut mit kurzen, köstlichen Küssen abkühlte. Wie sehr er eins werden wollte mit ihr, bis er ihr Herz schlagen und das Blut durch ihre Adern strömen hören konnte.
Sein Puls war wie Donnerschlag in seinen Ohren, und jeder Muskel seines Körpers war durch seine rasende Begierde bis zum Äußersten angespannt. Ihm war egal, ob sie so rein wie ein Regenschauer im April oder in allen Künsten ausgebildet war, die eine Geliebte im Schlafzimmer beherrschen konnte. Er wollte nur wieder die leidenschaftliche, maskierte Frau aus den Tivoli Gardens in seinen Armen halten. Er brauchte sie, er wollte sie, und er ertrug nicht den Gedanken, je diesen sanften und zugleich wollüstigen Engel zu verlieren. Und er wünschte sich, dass sie ihn wollte, weil er sich danach sehnte, ihr all die zahlreichen Variationen der Lust zu zeigen, die sie so verachtete, und sie so einzusetzen, dass sich Juliette ihm letztlich hingab.
Sie vermutete ganz richtig, dass ihr erwachendes Verlangen bei ihm Missfallen ausgelöst hatte, doch was gab ihm dazu das Recht? Er wollte nicht darüber nachdenken, dass sie ins Kloster mit all den dortigen strikten, einengenden Vorschriften zurückkehrte. Warum sollte er sich dann aber wünschen, ihr außerhalb des Klosters die gleichen Vorschriften aufzuerlegen? Es war dumm und vielleicht egoistisch. Andere Männer mochten eine Madonna verehren, aber sie sehnten sich jedoch nicht danach, sie zu besitzen.
Er dagegen sehnte sich nach dieser Madonna, und er würde sie besitzen. Dafür würde er alles tun, was erforderlich war. Und er würde versuchen, alles zu sein, was er für sie sein musste. Er hatte sie nicht verdient, aber sie war ihm durch Gnade und Aberglauben gegeben worden, und er würde sie so lange wie möglich festhalten. Alles andere würde er nicht ertragen.
Mit der Begierde, die ihn überkam, wenn er an sie dachte, sie sah oder berührte, würde er sich später noch befassen. Gott würde ihm vergeben, wenn er dabei den falschen Weg wählen sollte.
ln diesem Moment hörte er wie aus unendlich weiter Ferne laute Schritte, die vom Laubengang zu ihnen drangen und von aufgeregten Rufen begleitet wurden. Er löste sich von Juliette, während sie beide sich im spärlichen Licht ansahen. Dann wandten sie sich gleichzeitig um, damit sie von der Tordurchfahrt auf den Innenhof laufen konnten.
»Mam’zelle Juliette! Oh, Mam'zelle«, rief Valara, die vor lauter Eile auf der Treppe fast gestolpert wäre. Ihr Gesicht, das sonst die Farbe von Muskatnuss hatte, war grau, die Augen hatte sie vor Schreck weit aufgerissen. »Er ist weg, der petit garcon, der süße kleine Junge. Er ist nicht in seinem Bett, Mam’zelle. Er ist weg.«
Juliette lief ihr ein Stückchen entgegen und griff nach Valaras Händen. »Beruhige dich doch. Er muss hier irgendwo sein.«
»Nein, nein. Ich habe in jedem Schlafzimmer nachgesehen - bei Mam’zelle Paulette, bei deiner Mutter, auch im Gästezimmer. Aber er ist weg!«
Ehe Juliette etwas erwidern konnte, kam Madame Armant aus ihrem Schlafzimmer, die Nachtmütze saß schief auf dem Kopf, die Bänder hingen unter den Kinnfalten verschieden lang herunter. »Was ist das für eine Unruhe?«, beklagte sie sich verärgert. »Ich habe mich eben erst schlafen gelegt, und jetzt werde ich wieder für Stunden wach liegen.«
»Es geht um Gabriel. Ich habe ihn in deine Obhut gegeben, und jetzt ist er weg. Was ist mit ihm geschehen?«
Madame Armant zog halbherzig an ihrer Mütze, damit die etwas gerader saß. »Das weiß ich nicht, chere. Der arme Kleine lag in seinem Bett und schlief fest, als ich nach ihm sah, nachdem Paulette sich mit Monsieur Daspit und seiner Mutter Madame Daspit auf den Weg ins Theater gemacht hatte. Liegt er denn nicht mehr im Bett?«
»Offensichtlich nicht.« Sie wandte sich ihrer Zofe zu und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich dachte, eines der Küchenmädchen sollte sich zu ihm setzen, um auf ihn aufzupassen. Wo ist sie?«
Valara konnte nur den Kopf schütteln.
»Was das angeht«, warf ihre Mutter ein, die abermals nervös an ihrer Nachtmütze zupfte, »er hat gut zu Abend gegessen und machte einen guten Eindruck. Das Mädchen war im Sessel schon halb eingeschlafen, und Paulette fand, es sei unnötig, dass sie noch länger bleibt.«
Aus Nicholas' ungutem Gefühl wurde im gleichen Augenblick große Unruhe, doch als er sprach, versuchte er, in seiner Stimme nicht seine Wut über so viel Gedankenlosigkeit mitschwingen zu lassen.
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