Schwerter der Liebe
wenige Leute waren unterwegs, ein paar Straßen weiter schrie eine Katze, und eine Kutsche mit zugezogenen Vorhängen fuhr vorüber.
Nicholas sah auf die Frau an seiner Seite, als er mit ihr in die Rue St. Louis einbog. Während der gesamten Strecke hatte sie geschwiegen, was ungewöhnlich war, obwohl sie selbst unter besten Bedingungen alles andere als geschwätzig war. Ihr Gesicht hatte einen gefassten, gedankenverlorenen Ausdruck, dennoch hielt sie seinen Arm fester umschlungen als sonst, und ihre Schritte waren schneller, als wolle sie möglichst bald das Haus ihrer Mutter erreichen. Er verspürte den tiefen Wunsch, die Last von ihr zu nehmen, die Auf ihr zu liegen schien, damit sie wieder lächelte, lachte und sich entspannt an ihn schmiegte. Das Problem daran war nur, dass er nicht wusste, wie er das anfangen sollte — ganz abgesehen von der Möglichkeit, dass er selbst der Hauptgrund für ihre gedrückte Stimmung war.
Neben seiner Sorge um sie verspürte er aber noch einen anderen Wunsch, der sehr viel damit zu tun hatte, sie in einen der dunklen Hauseingänge zu ziehen, die sie immer wie-der passierten, um sie aus ihrem allzu ruhigen Gleichmut zu holen und ihre so perfekt zugeknöpfte Kleidung in Unordnung zu bringen. Diese Gedanken waren wie eine Herausforderung, die er so unbedingt annehmen wollte, dass er am Rande seines Verstands die Hitze des Verlangens fühlen konnte. Dass Valara ihnen wie üblich folgte, war ebenso wenig für ihn ein Grund zur Zurückhaltung wie die Gefahr, Anlass für Klatsch und Gerüchte zu bieten oder gar Juliettes verhaltenes Auftreten aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nein, was ihn tatsächlich zurückhielt, war das Gefühl, dass er nicht das Recht dazu hatte, gepaart mit der Angst davor, in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen, sollte sie sich doch noch gegen ihn entscheiden.
»Ich hatte nicht geplant, so lange bei Rio und Celina zu bleiben«, sagte er und musste sich bemühen, möglichst beiläufig zu klingen. »Ich hoffe, die Verspätung sorgt nicht für Verärgerung.«
»Ich ebenfalls, allerdings sehe ich auch keinen Grund dafür.«
»Nein«, stimmte er ihr zu, obwohl er nicht besonders angetan davon war, Gabriel in der Obhut von Juliettes Mutter zu lassen. Er ging nicht davon aus, dass Madame Armant dem Jungen etwas antun würde, aber er setzte auch kein großes Vertrauen in ihre Sorge um sein Wohlergehen. Ihm wäre wohler gewesen, hätten Squirrel und die anderen auf ihn aufpassen können. Doch die hatten sich geweigert, auch nur einen Fuß in das Haus zu setzen. Stattdessen ließen sie sich von ihm berichten, wie es Gabriel ging.
Es war jedoch nicht ratsam, sein mangelndes Vertrauen in Worte zu fassen, weil er unter Umständen Juliette nur dazu zwang, ihre Mutter zu verteidigen. Stattdessen fragte er: »Entsprach die Zusammenkunft bei Rio und Celina Ihren Erwartungen? Sie schienen sich mit Celina und Lisette gut zu verstehen.«
»Wenn ich ehrlich sein soll, es war ein Vergnügen. Beide
Ladies waren sehr freundlich und gaben mir das Gefühl, in ihrer Mitte willkommen zu sein.«
»Sie werden feststellen, dass das umso besser wird, je länger Sie sich kennen.«
»Ja«, gab sie ernst zurück. »Ich bin mir sicher, wir werden uns gegenseitig all unsere Geheimnisse anvertrauen.«
Das Unbehagen, das ihre Bemerkung auslöste, währte nur kurz, da sie sich im nächsten Moment dem Eingangstor zur Tordurchfahrt der Armants näherten. Valara trug an diesem Abend den Schlüssel bei sich, wohl weil er zu groß und zu schwer für die schmuckvoll verzierte Tasche war, die Juliette um die Taille ihres Straßenkostüms trug. Die Dienerin ging voraus, um das Tor aufzuschließen, dann stellte sie sich an die Seite, um die beiden eintreten zu lassen.
»Könntest du bitte nach oben laufen und nachschauen, wie es Gabriel geht?«, fragte Juliette im Vorbeigehen. »Ich glaube, Monsieur Pasquale würde es sehr schätzen, wenn er etwas über die momentane Verfassung des Jungen erfährt, bevor er sich auf den Heimweg begibt.«
Valara nickte zustimmend und eilte davon. Nicholas drehte sich um und schloss das Tor hinter ihnen, dann reichte er Juliette wieder seinen Arm.
Ihre Schritte hallten auf dem Kopfsteinpflaster nach, eine leichte Brise trug aus einem nahe gelegenen Garten die Düfte von Winterjasmin und süßlicher Olive mit sich. Valaras rundliche Gestalt war bereits außer Sichtweite, als sie den Innenhof erreichten. Dann hörten sie ihre schweren Schritte, wie sie den Hof
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