Schwerter der Liebe
überquerte und die Treppe hinaufging.
Juliette blieb im Schatten am Rand der Tunnelöffnung stehen und ließ seinen Arm los. »Es ist gut, dass wir diesen Moment für uns haben, bevor sie zurückkehrt.«
»Tatsächlich?« Abwartend sah er sie an, doch da sie nicht weiterreden wollte, versuchte er es noch einmal. »Wollten Sie mir etwas Bestimmtes sagen?«
»Ich ... ich habe das Gefühl, Sie haben von mir einen falschen Eindruck.« Sie ließ seinen Arm los und presste ihre Fingerspitzen aneinander, während sie stocksteif an seiner Seite stand.
»Wieso das?«
»Ich bin nicht nur reizend und gottesfürchtig, müssen Sie wissen.«
Sie sagte es mit einer so todernsten Miene, dass sich sein Unbehagen legte und schrägem Humor wich. »Ist das wahr? «
»Ich habe ein schreckliches Temperament, wenn ich geärgert werde, und ich kann ziemlich rachsüchtig werden, wenn man mich dazu treibt.«
»Ist das wahr?«
»Ich will Sie lediglich warnen, damit Sie nicht enttäuscht reagieren, wenn wir erst einmal verheiratet sind.«
»Sie könnten mich niemals enttäuschen.«
»Vielleicht doch, wenn Sie eine anspruchslose Ehefrau erwarten, die nichts von Ihnen verlangt und die Ihr Wort als das Gesetz ansieht. Um ehrlich zu sein, in meinem Wesen bin ich viel ... viel wärmer, als man Sie womöglich glauben ließ.«
»Glauben ließ?«
»Von meiner Mutter und meiner Schwester, und auch durch meine Verbindung zum Kloster.«
»Das höre ich gern. Ein Mann möchte nicht den Eindruck bekommen, dass seine Frau sich ihm gegenüber kühl verhält.«
»Das werde ich auch nicht machen.«
Was versuchte sie ihm zu sagen? Wirklich das, wonach es aussah? Sie hatte zuvor angedeutet, sie werde ihm bei seinen körperlichen Gelüsten gehorsam sein, doch jetzt schien es so, als würde sie auf mehr als das anspielen. Der Gedanke an sich genügte, um hitziges Verlangen in ihm zu entfachen, das er mit tiefen Atemzügen durch die Nase zu ersticken versuchte. Dieser Wunsch, sie zu berühren, sie zu kosten, war einfach
zu stark und eindringlich. Trotzdem war da ein Hauch von Irritation, der sich für einen Moment über seinen Verstand legte. Mit etwas unsicherer Stimme erwiderte er: »Meine Erwartungen sind für unsere Vereinbarung nicht von großer Bedeutung. Was immer auch Ihre Natur ist, Sie müssen nur Sie selbst sein, nicht mehr und vor allem nicht weniger.«
»Es ist sehr nett von Ihnen, das zu sagen. Ich glaube, Sie werden zu der Einsicht gelangen, dass ich einfach nur eine ganz normale Frau bin. Meine Bedürfnisse sind die gleichen wie die eines jeden menschlichen Wesens, und ich möchte nicht, dass Sie glauben, mein Leben würde sich auf irgendeiner höheren Ebene abspielen, die von solchen Gefühlen unberührt bleibt.«
»Das mag sein, und doch waren Sie eine Nonne.« Dass sie Wünsche und Bedürfnisse hatte, war ihm klar, und er wusste auch, wie nutzlos es von ihm war, etwas anderes anzunehmen. Dennoch war der Widerstand, den er bei sich verspürte, ein Maßstab für seine widersprüchlichen Gefühle und Wünsche. So idealistisch es auch sein mochte, war da doch ein Teil von ihm, der es vorzog, sie als seinen Engel zu sehen, als sanften, mitfühlenden und ewig reinen Engel.
»Dass ich zu Beginn das einer Nonne ähnliche Verhalten zeigte, war nicht meine Entscheidung. Es war mir schon als Kind aufgezwungen worden, so als müsste ich eine Maske tragen. Nun habe ich diese Maske abgenommen.«
Einen Moment lang erhaschte er einen verlockenden Blick auf die Frau, die er in den Lustgärten erlebt hatte, die Frau, die ihn auf eine fast unerträgliche Weise faszinierte. Er wollte sie kennenIernen, von den feinen Haaren auf ihrem Kopf bis zum Schwung ihres kleinen Zehs. Dieser Wunsch nahm ihn in einen heftigen, schmerzhaften Griff, sodass er die Fäuste ballen musste, wenn er Juliette nicht auf der Stelle in die Arme nehmen und an sich drücken wollte.
»Ich werde nie vergessen«, sagte er, »wie ich Sie das erste Mal gesehen habe, als sie aus der Kirche kamen.«
»Weil Sie diesem Bild den Vorzug geben. Die Frage ist: Warum tun Sie das?«
Ja, warum eigentlich? Er musterte sie in der Düsternis des Eingangsbereichs, betrachtete ihr Gesicht und den besorgten Ausdruck in ihren Augen. Dann auf einmal regte sich ein träger Gedanke in seinem Hinterkopf, der sich immer schneller in den Vordergrund zu schieben begann. Juliette musste für ihn auf einer höheren Ebene sein als er selbst, wenn nicht gesellschaftlich, dann zumindest moralisch. Es
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