Schwerter der Liebe
letztlich zu der Ansicht gelangte, eine so intime Verbindung könne sie doch nicht eingehen? Er wagte es nicht, ihren Ruf zu gefährden, indem er sich in der Öffentlichkeit an ihrer Seite zeigte.
Dennoch hätte er viel für das Recht gegeben, an ihrer Seite über die Rue Royale zu schlendern, mal hier, mal dort eine Kleinigkeit für sie auszusuchen, die ihr gefallen würde, mit ihr das Ladenlokal einer Modistin zu betreten und ihr bei der Auswahl jener Stoffe und Schnitte zu helfen, die die schlichte Eleganz ihrer Figur und ihres Gesichts am besten unterstreichen konnten.
Mon Dieu, was war er doch für ein Narr gewesen, ihr als Farbe ausgerechnet Weiß vorzuschlagen. Engelsgleich war Juliette ganz ohne Zweifel, doch das war längst nicht alles. Sie war fürsorglich, mitfühlend und so mütterlich wie eine Madonna, die mit einem Säugling an der Brust auf einem Gemälde verewigt worden war. Sie schien von einer leuchtenden Aura umgeben zu sein. Wie gern würde er sie in der Farbpalette eines alten Meisters sehen, vielleicht in glänzendem, grünem Samt mit goldfarbener Spitzenborte. Das war natürlich ein noch dümmerer Wunsch, war dieser Stoff doch verheirateten Frauen Vorbehalten. Er fragte sich, welchen Grund das haben mochte. Aber vielleicht war Samt für die Unvermählte zu sinnlich und verleitete zu einer Berührung, die durchaus zu einer Erkundung des Körpers unter dem schweren Stoff hätte führen können.
Es war weder klug noch ratsam, sich Juliette Armant in Samt vorzustellen. Dieses Bild ließ seine Libido auf eine Art reagieren, die gesetzlich verboten sein müsste. Die Franzosen waren ein realistisches Volk, denn sie erkannten die dem Menschen angeborenen Schwächen und suchten stets nach Wegen, diese zu umgehen. Vermutlich war das eine wirklich gute Idee von ihnen.
So wie es im Monat Januar gelegentlich vorkam, war es ein schöner, sonniger Tag mit blauem Himmel und hohen weißen Wolken, nicht zu warm und nicht zu kalt. Und doch fühlte sich Nicholas so erhitzt, dass er unwillkürlich an eine Portion Eis denken musste, jene süße Köstlichkeit aus Milch und Aromen, zum Kühlhalten in Eimer voller Eis gestellt, das aus dem hohen Norden per Schiff flussabwärts transportiert und dabei in dicke Lagen Sägemehl gehüllt wurde, damit es nicht zu schnell schmolz. Ein italienischer Eiscremefabrikant hatte sein Geschäft in der St. Pierre, genau zwischen der Royale und der Bourbon — ein Geschäft, das er nur zu gut kannte, da der Eigentümer Tony genau das anbot, was seiner Vorliebe für Süßes entsprach. Im Winter verdiente Tony mehr mit seinem Eis als zu jeder anderen Jahreszeit, was vielleicht mit der Erwartung der Menschen zusammenhing, dass im Winter Eis per Dampfboot aus dem Norden herangeschafft wurde. Tony schwor, seine Familie habe bereits gelato hergestellt, seit die Herrscher im alten Rom zum ersten Mal Eis aus den Alpen in ihre Stadt hatten bringen lassen. Nicholas glaubte ihm das, weil die Sorten einfach zu gut waren. Entschlossen machte er sich auf den Weg zu Tonys Geschäft.
Er saß an einem schmiedeeisernen Tisch vor dem Lokal und tauchte soeben den Löffel in ein Schälchen gekühlte Creme mit geriebener Vanilleschote, als er auf einmal Caid O’Neill in seine Richtung kommen sah. Er winkte seinen irischen Freund zu sich, der einst in der Passage einen Fechtsalon dicht neben seinem eigenen unterhalten hatte. Als er auf seine gefrorene Creme deutete, schüttelte Caid den Kopf und rief stattdessen ins Lokal, Tony solle ihm einen Kaffee bringen. Anschließend zog er den Stuhl zurück und nahm gegenüber von Nicholas Platz.
»Gute Neuigkeiten«, sagte der Ire, während er seine langen Beine ausstreckte. »Rio und Celina werden bald wieder in der Stadt sein. Ich habe einen Brief erhalten, der mit der Dundee eintraf, und die beiden sollten höchstens ein bis zwei Tage später nachfolgen.«
»Ausgezeichnet. Sie waren auch schon zu lange weg.« Nicholas hatte Rio vermisst. Seit er in die Stadt gekommen war, hatte er zahlreiche Freundschaften geschlossen, doch es gab nur wenige, denen er so sehr vertraute wie Rio de Silva, wie der Mann hieß, bevor er wieder seinen wahren Namen Damian Francisco Adriano de Vega y Riordan verwendet hatte und zum Conde de Lerida geworden war. Seit er sich zurückgezogen hatte, war die Passage de la Bourse nicht mehr so wie früher. Natürlich bedeutete seine Rückkehr nicht, dass er seinen Fechtsalon wiedereröffnen würde, schließlich hatte er jetzt eine
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