Schwerter der Liebe
ich.«
Juliette biss sich auf die Unterlippe. »So viele Frauen fühlen sich zu ihm hingezogen, wie Paulette ganz richtig sagte. Vielleicht besitze ich nicht die ... die Leidenschaft, die er benötigt.«
»Du weißt nicht, was in dir steckt, meine Juliette. Du hast immer getan, was andere von dir erwarteten, du hast dich stets dem Willen der anderen gebeugt. Ich glaube, du kannst alles sein und alles machen, wenn das Verlangen danach hier in deinem Herzen nur stark genug ist.« Sie presste die große Faust mitten auf das von der Schürze verdeckte Mieder. »Aber zuerst musst du kämpfen lernen.«
»Kämpfen? Oh, das aber bestimmt nicht, Valara.«
»Nicht wie ein Mann, Mam ’zelle, nicht mit Stahl und harten
Schlägen. Trotzdem musst du dich bewaffnen.« Einen Moment lang betrachtete sie Juliette nachdenklich. »Ich würde sagen, anfangen sollten wir damit bei der Modistin.«
Juliette schaute an ihrem grauen Kleid herunter. »Du meinst, ich brauche ein neues Kleid?«
»Nicht nur eines, sondern viele, chere. Die Saison des Visites befindet sich auf ihrem Höhepunkt. Du musst strahlen und leuchten. Das kannst du nicht in dem Trauerkleid, das du nach dem Tod deines Papas getragen hast. Und neue Hüte benötigst du auch, nicht dieses Ding da, das vor drei Jahren in Mode war. Außerdem wären da noch deine Haare.«
»Meine Haare?« Juliette hob eine Hand, um die nach hinten gekämmten Haare glatt zu streichen.
»Du sollst es nicht verstecken, Mam’zelle. Männer werden von Haaren so angezogen wie Pferde vom Hafer, und deine Haare sind heller und dünner als die von Paulette.«
Stimmte das? Juliette hatte keine Ahnung. Jeglicher Form von Eitelkeit war im Kloster mit solchem Missfallen begegnet worden, dass sie mit der Zeit ganz von selbst verschwand.
Dennoch hatte sie sich über Monate hinweg an den Gedanken gewöhnen müssen, dass man ihr das Haar kurz schneiden würde, wenn der Moment kam, an dem sie ihr Gelübde ablegte. Ihr gefiel das Gewicht ihrer langen seidigen Haare auf ihrem Kopf, die Art, wie es ihr beim Bürsten über die Schultern fiel, wie es im Sonnenschein glänzte. Sie war froh darüber, dass sie es noch nicht hatte opfern müssen — und dass es vielleicht überhaupt nicht dazu kam. Sie war sogar so froh darüber, dass sie sich tatsächlich schuldig fühlte.
Vielleicht hatte trotz allem ein Funke Eitelkeit überlebt.
Der Besuch bei der Modistin fand noch am selben Nachmittag statt. Juliette hätte es gern noch um ein oder zwei, vielleicht sogar drei Tage hinausgezögert, doch Valara bestand darauf. Sie war so fest entschlossen, dass Juliette fürchtete, Valara könnte glauben, ihr Ratschlag werde nicht angemessen gewürdigt, wenn sie sich nicht unverzüglich auf den Weg machten. Juliette wollte auf keinen Fall, dass die alte Dienerin so etwas glaubte, also ging sie über das dumpfe Pochen in ihrem Kopf hinweg und ließ es zu, sich überreden zu lassen.
Sie begaben sich nicht geradewegs zum Atelier von Madame Ferret, bei der Juliettes Mutter jahrelang eingekauft hatte. Stattdessen unterbrachen sie ihren Weg beim Tuchhändler Bourry d’Ivernois, wo sie eine neue eingetroffene Lieferung Stoffe und andere Kostbarkeiten begutachteten, darunter französischen Merino und Musselin sowie verschiedene sehr schöne Variationen bedruckten Chalys. Nach langer Diskussion und umfangreichem Vergleichen ließen sie schließlich ein Päckchen zum Stadthaus der Armants liefern. Darin befanden sich ein Schal aus Nadel- und cremefarbene point de gaze- Spitze, ein Schirm in schwarzem Chantilly, außerdem drei Paar Ziegenlederhandschuhe in blassem Gelb, Rosa und Blau. Dann warteten sie noch, bis etliche Ellen Merino und Chaly von den Ballen abgeschnitten worden waren, die in Papier verpackt und mit einem Bindfaden verschnürt wurden, damit Valara sie zu Madame Ferrets Atelier tragen konnte. Zweifellos musste derartigen Betätigungen ein heilender Effekt innewohnen, denn als sie das Geschäft verließen und auf die Straße zurückkehrten, da waren Juliettes Kopfschmerzen wie durch ein Wunder verschwunden.
Sie und Valara waren keine drei Türen mehr vom Geschäft der Modistin entfernt, als Juliette den langbeinigen, schmalen Monsieur Jean Daspit erblickte, der sich ihnen näherte. In aller Eile schaute sie sich um, ob es eine Möglichkeit gab, ihm noch aus dem Wege zu gehen, doch es bot sich keine Ausflucht an, die man ihr nicht als grobe Unhöflichkeit hätte auslegen können. Er hatte sie bereits gesehen und zog
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