Schwerter und Rosen
einer Mischung aus Belustigung und Resignation bot der Earl der jungen Dame die Hand und half ihr mit einem galanten Griff um die Hüften aus der luftigen Höhe auf die festgestampfte Sicherheit des Bodens zurück. »Ich danke Euch«, flötete sie kokett und schenkte ihm einen Augenaufschlag, der Harold beinahe dazu gebracht hätte, lauthals zu prusten. Von der vollen Haarpracht abwärts bis zu der schlanken Nase mit dem geraden Rücken war das Mädchen mit den kornblumenblauen Augen eine Schönheit. Aber ein weit hervorspringender Oberkiefer machte den Eindruck trotz des schamhaft vor den Mund gezogenen Schleiers vollkommen zunichte. Und dennoch schien der selbst nicht mehr ganz junge Earl ihr mit allem Nachdruck den Hof zu machen.
»Mylord.« Schüchtern näherte sich Harold dem ungleichen Paar und verneigte sich respektvoll vor dem Adeligen, der ihn um mehr als eine Haupteslänge überragte. »Ich habe eine Nachricht von König Richard für Euch.« Eigentlich wäre es Mortimer de Reviers Aufgabe gewesen, den dicken Stapel an Briefen zu verteilen. Doch als der hochmütige Knappe des Königs, der in absehbarer Zeit seinen Ritterschlag erwartete, in der Halle mit Harold zusammengestoßen war, hatte er dem Knaben kurzerhand die Hälfte seiner Last in die Hand gedrückt – mit dem Befehl, sie so schnell wie möglich an die Adressaten zu verteilen. Was dieser bis auf das letzte Schreiben an Pembroke auch gewissenhaft erledigt hatte. »Na wunderbar«, fluchte der Earl, der inzwischen das Siegel erbrochen und den Inhalt überflogen hatte, leise. »Wie viele Bogenschützen soll ich ihm denn noch zur Verfügung stellen?« Erbost wandte er sich mit einem knappen Nicken von der Dame ab, die ihm mit fragend in die Höhe gezogenen Brauen nachblickte, und eilte ohne ein weiteres Wort in Richtung Tower davon. Kaum war sein golddurchwirkter Umhang im Inneren des Bollwerkes verschwunden, als auch Harold sich mit einem entschuldigenden Schulterzucken abwandte und in dieselbe Richtung davonschlenderte.
Auch sein Vater würde gemeinsam mit dem benachbarten William of Loxley ein nicht zu verachtendes Kontingent an Bogenschützen für den bevorstehenden Kreuzzug stellen. Wie sehr sich Harold, den die Neuigkeit von dem auf ihn zukommenden Abenteuer mit gemischten Gefühlen erfüllte, darauf freute, seinen Freund Robin wiederzusehen! Als Knappe seines ältesten Bruders würde der lebenslustige Knabe sicherlich bald am Hof eintreffen. Mit aufsteigender Wehmut dachte Harold an die Späße und den Schabernack zurück, den er gemeinsam mit dem Freund noch vor wenigen Wochen getrieben hatte – nicht ahnend, dass das, was er unter seiner Stiefmutter zu erleiden gehabt hatte, nur ein lächerlicher Vorgeschmack auf die Grausamkeiten und Intrigen war, die am königlichen Hof so alltäglich zu sein schienen.
Philippopel, September 1189
Über zwei Wochen lagerte das byzantinische Heer nun bereits in den weiten Auen vor der besetzten Stadt, während unverwandt Botschafter zwischen dem von den Deutschen gehaltenen Philippopel und dem Feldlager hin und her galoppierten. Nach Meldung des Anrückens der feindlichen Streitmacht hatte Barbarossa erzürnt nach Niketas Choniates, dem ehemaligen Statthalter und Chronisten der eroberten Stadt geschickt, und ihm den Tod am Galgen angedroht, wenn er die Angelegenheit nicht zur Zufriedenheit der Deutschen regelte. Der zwischen die Fronten geratene Grieche, den der Kaiser für die Misere verantwortlich machte, wurde in einem von Soldaten bewachten Haus gefangen gehalten und manchmal dreimal am Tag von Panzerreitern ins Lager der Byzantiner geleitet. Allerdings sah es immer weniger nach einer friedlichen Einigung zwischen den beiden christlichen Seiten aus.
Da die Langeweile mehr und mehr um sich griff, und die zur Untätigkeit verdammten Krieger einem Kampf entgegenfieberten, kam es bereits nach Ablauf der ersten Woche zu einer Auseinandersetzung zwischen betrunkenen Kreuzrittern und byzantinischen Fußsoldaten. Nahe des an dieser Stelle steilen Flussufers trafen je ein halbes Dutzend Männer aufeinander, die sich innerhalb weniger Minuten so furchtbar zurichteten, dass nur vier von ihnen das Zusammentreffen überlebten. Die anderen ertranken in den lächerlich seichten Fluten. Sowohl Barbarossa als auch der Anführer der Byzantiner verhängten drakonische Strafen über die Unruhestifter. Doch die inzwischen halb tot am Pranger Hängenden würden den Missmut der übrigen Männer nicht mehr lange
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