Schwerter und Rosen
im Zaum halten können. Nachdem auch das Glücksspiel inzwischen ungeahnte Ausmaße angenommen hatte, hungerten die Verlierer, während die Gewinner sich an den im Umland erbeuteten Lebensmitteln labten, die sie den im Spiel Unterlegenen abnahmen, und ausschweifende Feste feierten. Auch die Adeligen, denen die Probleme der einfachen Soldaten fremd waren, wurden mit zunehmender Unsicherheit mürrischer. Und wenn nicht bald etwas geschah, würde die Lage zweifellos eskalieren.
»Was für eine Zeitverschwendung!«, grollte der Herzog von Österreich, der seit Tagen dem Herzog Friedrich von Schwaben mit seinem Genörgel auf den Nerv fiel. Wütend pfefferte er die an ihn weitergereichte Botschaft auf den Tisch und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Warum streiten wir uns mit unseren eigenen Leuten?«, erboste er sich zum wiederholten Mal. Und obwohl ihm der Gedanke, dem unsympathischen Babenberger recht zu geben, gegen den Strich ging, stimmte Arnfried von Hilgartsberg ihm innerlich zu. Es entbehrte tatsächlich jeglicher Logik, dass die byzantinischen Christen, für die das immer weiter wachsende Reich Salah ad-Dins eine ebenso große Bedrohung darstellte wie für ihre lateinischen Glaubensbrüder, sich gegen die Deutschen wandten, um diese von dem Zug nach Palästina abzuhalten. Lediglich die unbegründete Furcht des abergläubischen Kaisers Isaak vermochte, dieses unsinnige Handeln im Ansatz zu erklären. »Diese verdammten Narren sollten sich mit uns verbünden, und die Heiden aus dem Heiligen Land vertreiben!«, zischte der inzwischen hochrote Leopold von Österreich, dessen Mund sich zu einer Linie der Wut verzogen hatte. Beschwichtigend hob Friedrich von Schwaben, der drittälteste Sohn Barbarossas, die Hand und warf seinem Ritter einen resignierten Blick zu, den Arnfried von Hilgartsberg mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln erwiderte. Seit die Neuigkeiten von der Belagerung Akkons das Kreuzfahrerheer erreicht hatten, brannten viele der hitzigeren Temperamente darauf, den Zug so schnell wie möglich an sein Ziel zu bringen. »Wartet ab, Leopold«, versetzte der entnervte Friedrich. »Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen.«
Als der beleibte Herzog daraufhin zu einer erneuten Schimpftirade ansetzte, zog sich Arnfried unauffällig zurück, um sich auf den Weg zu den Stallungen zu machen. Obgleich sein Knappe ein verantwortungsbewusster junger Mann war, wollte er sich selbst davon überzeugen, dass es seinem wertvollen Schimmelhengst an nichts mangelte. Wie er selbst litt das Tier unter der unmenschlichen Hitze, die trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit nicht nachlassen wollte und wie eine drückende Last auf der Stadt lag. Er seufzte, hielt einen Augenblick inne, um seinen verrutschten Kettenpanzer zurechtzurücken, und ließ den Blick über das verdorrte Gras am Wegesrand gleiten. Wie sehr er sich nach den dicht bewaldeten, dunkelgrünen Hügeln seiner Heimat sehnte! Gerade stieg das Bild des schroffen Felsens, auf dem seine Festung im Herzen des Passauer Landes thronte, vor seinem inneren Auge auf, als er rüde aus den abschweifenden Gedanken gerissen wurde. »Sie greifen an!«, brüllte einer der Männer, die das Tor besetzt hatten. »Sie greifen an!«
Jerusalem, Jüdisches Viertel, Oktober 1189
Die Neugier hatte Daja keine Ruhe gelassen, und so hatte sie an diesem Morgen erneut die steilen Stufen zu dem Dachkämmerlein erklommen, in dem sie die kostbaren Funde hinter einer beinahe mannshohen Kiste verborgen hatte. Vorsichtig, um ihr zwar einfaches aber neues Gewand nicht zu beschmutzen, kauerte sie sich auf den inzwischen gesäuberten Dielenboden und zog mit beiden Händen an dem Mantel, den sie – wie derjenige, der ihn hier versteckt hatte – als Einschlagtuch benutzt hatte. Erneut bewunderte sie den kostbaren Stoff, der von so feiner Webart war, dass er ein Vermögen gekostet haben musste. Wo hatte sie nur dieses Wappen schon einmal gesehen? Grübelnd drehte Daja den Mantel in den Händen hin und her, während ihr Gehirn fieberhaft arbeitete. Da die Dinge, die in den alten Umhang eingeschlagen gewesen waren, darauf schließen ließen, dass er Rahels Vater gehört haben musste, verwirrte sie das bekannte Muster umso mehr. War das Mädchen nicht die Tochter eines verstorbenen Juden? Hatte Nathan ihr nicht erzählt, das Kind sei ihm bei der Belagerung von Aleppo von dem sterbenden Vater in die Hand gedrückt worden?
Und dennoch war sie sich sicher, dass es sich bei dem
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