Schwerter und Rosen
das Wappen des Earls in Sicht kam, ließ sich Harold auf alle Viere sinken und kroch durch das verräterisch raschelnde Uferschilf auf das prächtige, von sieben großen Stangen aufrecht gehaltene Zelt zu, aus dem erzürnte Stimmen ins Freie drangen.
Kaum hatte er eines der Fässer erreicht, mit denen die Kreuzfahrer das wertvolle Regenwasser auffingen, tauchte der Earl of Essex – gefolgt von Littlebourne – mit hochrotem Kopf bereits wieder aus dem Zelt auf und schickte zornig über die Schulter: »Ihr seid ein Narr, Derby!« Hastig, um von seinem Dienstherrn nicht entdeckt zu werden, duckte Harold sich hinter eine Tonne und verfolgte den wütenden Abzug der beiden Männer, während sein Gehirn fieberhaft arbeitete. »Wer hier der Narr ist, kommt noch auf«, murmelte der ebenfalls aus der Unterkunft getretene William de Ferrers, der den breiten Rücken der Davonstürmenden mit denselben grünen Augen folgte, die das Gesicht seiner Tochter beherrschten, bevor er mit einem Kopfschütteln zurück ins Innere trat und den Eingang verschloss. Als sich sein rasender Herzschlag ein wenig beruhigt hatte, wagte Harold schließlich, sein Versteck zu verlassen. Und nachdem er einen weiten Bogen geschlagen hatte, kehrte er aus der entgegengesetzten Richtung zum Zelt seines Herrn zurück, um die unterbrochene Arbeit zu Ende zu bringen. Mit unsicheren Fingern sammelte er den Tiegel mit dem Fett, sowie Lappen und Bürsten auf, verstaute sie in einem groben Leinensack und brachte alles zurück an seinen Platz. Bis auf Weiteres schien die Gefahr abgewendet. Doch wie er den Earl of Essex kannte, würde er die Sache nicht auf sich beruhen lassen.
Vor den Stadttoren Akkons, Ende Juni 1190
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht vom Tod des Deutschen Kaisers verbreitet. Und sowohl die eingeschlossenen Mauren als auch die Soldaten im Lager Salah ad-Dins hatten tage- und nächtelang in wildem Freudentaumel zugebracht. Hunderte von Scheiterhaufen hatten ihre Flammen gen Himmel geschickt und die Nächte zum Tag werden lassen, während Männer und Frauen tanzend und singend die glückliche Fügung des Schicksals gefeiert hatten. Zusammen mit der für die Christen furchtbaren Neuigkeit war auch das Gerücht nach Akkon gelangt, dass das von der starken Führung Barbarossas zusammengehaltene Heer sich weitgehend aufgelöst hatte und sich lediglich mit einem lächerlichen Bruchteil der ursprünglichen Stärke auf dem Weg nach Palästina befand. Versprengten Schafen gleich, irrten die hungernden und demotivierten Soldaten Gerüchten zufolge durch das anatolische Hochland – auf der Suche nach einem gefahrlosen Abstieg zur Küste, wo geschäftstüchtige Kaufleute bereits Schiffe zur Überfahrt nach Griechenland bereitgestellt hatten.
Die Lage war alles andere als hoffnungsvoll. Müde und von einer Durchfallerkrankung, die ihn schon seit Tagen quälte, geschwächt starrte Guy de Lusignan trotzig zu der immer noch kaum beschädigten Ringmauer der Stadt hinüber, die im Licht der trüben Dämmerung beinahe wirkte, als würde sie sich auf das christliche Lager zubewegen. Die Hochstimmung, die nach Konrads erfolgreicher Durchbrechung der türkischen Seeblockade unter den Kreuzfahrern geherrscht hatte, löste sich bald in Wohlgefallen auf, da das von ihm herbeigeschaffte Belagerungsgerät bei dem Fiasko im Mai genauso schnell verloren gegangen war, wie es Erfolg versprochen hatte. Als ob dieser Rückschlag nicht genügt hätte, hatte Salah ad-Dins Heer – durch den Misserfolg der Franken ermutigt – kurz darauf einen acht Tage dauernden Angriff auf ihre Stellungen geführt, der nicht nur das Leben unzähliger Männer, sondern auch die hinterste Verteidigungslinie gekostet hatte. Unvorstellbar war der Anblick der zerhackten Leichen gewesen, die den blutgetränkten Boden übersät hatten. Hätten die Angehörigen der heilenden Orden nicht ohne Unterlass bis zur völligen Erschöpfung die Verwundeten gepflegt, wären die Verluste noch weitaus höher ausgefallen.
»Es ist wie verhext!«, schimpfte Guy und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den rebellierenden Bauch. Immer wieder krampften sich seine Eingeweide zusammen, und immer öfter hatte er das Gefühl, dass in seinem Inneren ein Feuer brannte, das durch nichts zu löschen war. Seit Ewigkeiten hatte er aus Furcht davor, was für Folgen dies für seinen Verdauungstrakt haben könnte, nichts mehr zu sich genommen. Und langsam aber sicher spürte er, wie seine Kräfte
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