Schwerter-Zylus 06 - Die Schwerter von Lankhmar
nacht, kleiner Herr. Wir bleiben trocken an Land. In Ihrem schönen Palast. Denken Sie daran: morgen, wenn dieser Unsinn vorbei ist, veranstalten wir ein paar hübsche Auspeitschungen. Inzwischen haben Sie mich als Wächter, mein Lieber, und ich kann ein ganzes Regiment ersetzen. Halten Sie sich an Samanda!«
Als nähme er sie beim Wort, warf Glipkerio, der zuerst vor ihr zurückgewichen war, die Arme um ihren Hals und krabbelte fast auf ihren Schoß.
Ein blauer Vorhang bauschte sich, doch es war nur Glipkerios Nichte Elakeria in einem grauen Seidenkleid, das jeden Augenblick aus den Nähten zu platzen drohte. Das dickliche Mädchen hatte in den letzten Tagen noch mehr zugenommen. Aus Kummer über den Tod ihrer Mutter und die Kreuzigung ihres Seidenäffchens, und um ihre Nerven zu beruhigen, hatte sie laufend Süßigkeiten gegessen. Doch im Augenblick schien sie solche Beruhigungsmittel nicht zu brauchen; sie war bleich vor Wut.
»Onkel!« rief sie. »Du mußt sofort etwas tun! Die Wächter sind verschwunden! Mein Mädchen und mein Page sind nicht gekommen, und als ich sie holen wollte, fand ich die unverschämte Reetha in der Küche, die dort versuchte, alle Pagen und Mädchen gegen dich aufzuwiegeln. Und in ihrer Armbeuge saß eine graugekleidete lebendige Puppe und schwenkte ein böses kleines Schwert – gewiß hat die meinen Kwe-Kwe gekreuzigt! Ich habe mich wieder fortgeschlichen.«
»Eine Revolte, soso?« knurrte Samanda, setzte Glipkerio hin und löste Peitsche und Knüppel von ihrem Gürtel. »Elakeria, kümmern Sie sich um Ihren Onkel. Sie wissen – seine Bootsfahrten«, fügte sie heiser flüsternd hinzu und tippte sich vielsagend an die Stirn. »Inzwischen werde ich dem nackten Volk eine kleine Gegenrevolution verpassen, die es so leicht nicht vergißt!«
»Verlaß mich nicht!« flehte Glipkerio und klammerte sich wieder an ihr fest. »Wo Hisvin mich doch vergessen hat, bist du mein einziger Schutz!«
Eine Uhr schlug Viertel vor zwölf. Ein blauer Vorhang teilte sich, und Hisvin kam gemessenen Schrittes herein. Von seinem hastigen Gang war nichts mehr zu spüren. »Wie es auch ausgehen mag, ich bin pünktlich«, sagte er. Er trug eine große schwarze Kappe und seine Toga und darüber einen Gürtel, an dem ein Tintenfläschchen und ein Beutel mit Pergamentrollen hingen. Hisvet und Frix folgten ihm in schlichten schwarzen Seidenroben und Umhängen. Der blaue Stoff schloß sich hinter ihnen. Die drei schwarzgerahmten Gesichter waren ernst.
Hisvin ging auf Glipkerio zu, der sich etwas beschämt erhoben hatte und nun verzweifelt an seiner Toga herumzupfte und sich über die zerwühlten Haare strich.
»Oh, großzügiger Oberherr«, intonierte Hisvin feierlich. »Ich bringe dir die schlimmste Kunde«, – Glipkerio erbleichte und begann zu zittern –, »und die beste.« Daraufhin erholte sich Glipkerio wieder etwas. »Zuerst die schlechte Nachricht. Der Stern, dessen Erscheinen uns die Himmelskonstellationen gewogen machte, ist verschwunden, erloschen wie eine Kerze, von einem schwarzen Dämon ausgepustet, sein Feuer wurde von den schwarzen Wogen des Himmelsozeans ausgelöscht. Kurz, der Himmelskörper ist spurlos versunken, und ich kann meinen Zauber gegen die Ratten also nicht wirken lassen. Außerdem ist es meine traurige Pflicht, Sie zu unterrichten, daß die Ratten Lankhmar bereits mehr oder weniger erobert haben. Ihre Soldaten erleiden in der Südkaserne schwere Verluste. Alle Tempel sind besetzt, und die Götter von Lankhmar wurden in ihrer staubigen Gruft umgebracht. Die Ratten halten sich im Augenblick ein wenig zurück – aus einer Höflichkeit heraus, die ich Ihnen gleich erkläre – und werden dann diesen Palast stürmen.«
»Dann ist alles verloren«, sagte Glipkerio zittrig und wandte den bleichen Kopf. »Ich hab's dir doch gesagt, Samanda! Mir bleibt nur die letzte Reise. Welt adieu! Nehwon, leb wohl! Ich suche ein glücklicheres ...«
Doch diesmal kam er gar nicht erst vom Fleck. Eingekeilt zwischen seiner Nichte und der stämmigen Palastdame, zappelte er sinnlos herum.
»Aber nun das Gute«, fuhr Hisvin lebhafter fort. »Unter Lebensgefahr habe ich mich mit den Ratten in Verbindung gesetzt. Dabei hat sich herausgestellt, daß sie eine ausgezeichnete Gesellschaftsordnung haben, die in mancher Hinsicht wertvoller ist als die des Menschen – tatsächlich haben sie unser Wachstum schon seit einiger Zeit in der Hand. Oh, es ist eine nette kleine Zivilisation, die sich die klugen Nager
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