Schwertgesang
reiten. Ihr werdet laufen.« Nun ließ ich es nicht darauf ankommen. Ich wusste, dass es zu Sigefrids Vorsätzen gehörte, uns zu demütigen, und wie konnte er das besser tun, als uns zu seinem Lager laufen zu lassen? Herren reiten und der gemeine Mann läuft, aber Steapa, Pater Willibald und ich gingen widerspruchslos hinter den sechs Reitern her, die einem Weg zwischen den Bäumen hindurch und auf eine weitgestreckte, grasbedeckte Senke folgten, die den Blick auf die sonnenüberglänzte Temes freigab.
Auf der Senke stand ein notdürftiger Unterschlupf neben dem nächsten, sie waren von den Schiffsmannschaften errichtet worden, die in Erwartung der Reichtümer, die Sigefrid bald besitzen und verteilen würde, zu seiner Unterstützung gekommen waren. Bis wir den Hang zu Sigefrids Lager hochgestiegen waren, schwitzte ich heftig. Ich konnte jetzt Caninga sehen und den östlichen Teil des Flussarms. Die Insel und den Hothlege kannte ich von der seewärts gelegenen Seite gut, doch nun sah ich sie aus adlerhafter Höhe. Außerdem sah ich, dass sich jetzt noch mehr Schiffe in dem trockengefallenen Hothlege drängten. Die Nordmänner kreuzten die Weltmeere auf der Suche nach einer schwachen Stelle, über die sie mit Axt, Schwert und Speer herfallen konnten, und Æthelflaeds Gefangennahme hatte ihnen genau solch eine Gelegenheit eröffnet. Also sammelten sie sich.
Hinter dem Tor warteten Hunderte von Männern. Sie machten einen Gang bis vor den großen Palas der Festung frei, und wir drei mussten zwischen der Doppelreihe aus grimmigen, bärtigen, bewaffneten Männern bis zu zwei Bauernkarren hindurchgehen, die nebeneinandergestellt worden waren, um eine lange Plattform zu bilden. Etwa in der Mitte dieser behelfsmäßigen Bühne hing Sigefrid auf einem Stuhl. Trotz der Hitze war er in seinen schwarzen Umhang aus Bärenfell gehüllt. Sein Bruder Erik stand auf der einen Seite des großen Stuhles, während Haesten verschlagend grinsend auf der anderen stand. Eine Reihe behelmter Wachen hatte hinter den dreien Aufstellung bezogen, und vor ihnen hingen vom Rand der Karren Banner mit Raben, Adlern und Wölfen herab. Vor Sigefrids Stuhl dagegen lagen Banner, die von Æthelreds Flotte erbeutet worden waren. Das große Banner des Aldermanns von Mercien mit dem Pferd, das sich aufbäumte, war dabei und daneben Flaggen, die Kreuze und Heilige zeigten. Die Banner waren verschmutzt, und ich vermutete, dass die Dänen abwechselnd darauf pissten. Von Æthelflaed war nichts zu sehen. Ich hatte damit gerechnet, dass sie uns in der Öffentlichkeit vorgeführt werden würde, doch sie musste sich wohl streng bewacht in einem der etwa zwölf Gebäude auf dem Hügel aufhalten. »Alfred hat uns seine Köter geschickt, damit sie uns was vorkläffen!«, verkündete Sigefrid, als wir bei den beschmutzten Bannern angekommen waren. Ich nahm meinen Helm ab. »Alfred schickt Euch seine Grüße«, sagte ich. Ich hatte erwartet, mit Sigefrid in seinem Palas zu sprechen, dann wurde mir klar, dass er im Freien mit mir reden wollte, damit so viele seiner Gefolgsleute wie möglich meine Erniedrigung miterleben konnten. »Du winselst wirklich wie ein dreckiger Köter«, sagte Sigefrid.
»Und er wünscht Euch Freude an der Gesellschaft der Herrin Æthelflaed«, fuhr ich fort. Er runzelte überrascht die Stirn. Sein breites Gesicht wirkte fetter, auch sein ganzer Körper wirkte fetter, denn die Verletzung durch Osferth hatte ihm zwar den Gebrauch seiner Beine genommen, nicht aber seine Lust am Essen, und so saß er da, ein Krüppel, plump und hässlich, und starrte mich ungehalten an. »Freude an ihr?«, knurrte er. »Was schwafelst du da?« »Der König von Wessex«, sagte ich laut, sodass mich alle Umstehenden hören konnten, »hat noch andere Töchter! Da ist die liebreizende Æthelgifu, und ihre Schwester, Æfthryth, wozu braucht er also noch Æthelflaed? Und welchen Nutzen haben Töchter überhaupt? Er ist ein König, und er hat Söhne, Edward und Æthelweard, und Söhne sind der Stolz eines Vaters, während Töchter seine Last sind. Also wünscht er dir Freude an ihr und schickt mich, um ihr seine Abschiedsgrüße zu bringen.« »Der Köter will uns belustigen«, sagte Sigefrid verächtlich. Er glaubte mir natürlich nicht, aber ich hoffte, ein kleines Körnchen Zweifel gesät zu haben, gerade ausreichend, um das niedrige Lösegeld zu rechtfertigen, das ich anbieten würde. Ich wusste, und Sigefrid wusste, dass der endgültige Preis gewaltig sein würde,
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