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Schwertgesang

Schwertgesang

Titel: Schwertgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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stehen. Ein Holzscheit brach durch einen der brennenden Stapel und sandte einen Funkenregen himmelwärts. »Du hast Blut!«, rief Haesten erneut. »Willst du noch mehr Blut?«
    Ich glaubte, nichts würde geschehen. Dass ich einen Tag vergeudet hatte.
    Und dann bewegte sich das Grab.

ZWEI
    Der Grabhügel bewegte sich.
    Ich erinnere mich, wie sich Kälte in meinem Herzen ausbreitete und ein grässlicher Schrecken mich erfasste, doch ich konnte weder atmen noch mich bewegen. Ich stand unbeweglich, mit aufgerissenen Augen, und wartete auf das Entsetzliche.
    Die Erde fiel leicht in sich zusammen, als würde sich ein Maulwurf aus seinem kleinen Hügel scharren. Dann bewegte sich noch mehr Erdreich, und etwas Graues tauchte auf. Das graue Etwas schwankte, und ich sah, dass die Erdklumpen schneller herabfielen, als sich das graue Etwas aus dem Erdhügel erhob. Alles geschah im Halbdunkel, denn die Feuer brannten hinter uns und warfen unsere Schatten über die Erscheinung, die aus dieser Wintererde geboren worden war, eine Erscheinung, die sich als verdreckter Leichnam entpuppte, der aus seinem geöffneten Grab taumelte. Ich sah einen toten Mann, der zuckte und halb fiel, als er das Gleichgewicht suchte, bis er endlich aufrecht stand.
    Finan packte meinen Arm. Er wusste nicht das Geringste davon, dass er das tat. Huda kniete auf dem Boden und hielt sich an dem Kreuz fest, das er um den Hals trug. Und ich starrte nur. Der Leichnam machte ein hustendes, würgendes Geräusch wie das Todesröcheln eines Mannes. Er spie etwas aus und würgte erneut, dann richtete er sich langsam hoch auf, und ich sah in dem schattenüberzuckten Licht des Feuers, dass der Körper des toten Mannes in ein besudeltes graues Tuch gewickelt war. Auf seinem bleichen Gesicht hatte die Erde schmutzige Streifen hinterlassen, einem Gesicht, das unberührt war von jeder Verwesung. Sein langes Haar lag strähnig und weiß auf seinen schmalen Schultern. Er atmete, doch er hatte Schwierigkeiten damit, genau wie ein sterbender Mann Schwierigkeiten mit dem Atmen hat. Und das war auch richtig so, erinnere ich mich gedacht zu haben, denn dieser Mann kam aus dem Totenreich zurück, und deshalb klang er genau so, wie er geklungen hatte, als er seine Reise dorthin angetreten hatte. Dann gab er ein langgezogenes Stöhnen von sich und holte etwas aus seinem Mund. Er warf es uns entgegen, und ich tat unwillkürlich einen Schritt zurück, bevor ich erkannte, dass es die zusammengerollte Saite einer Harfe war. Da wusste ich, dass das Unmögliche, was ich vor Augen hatte, Wirklichkeit war, denn ich hatte gesehen, wie die Bewacher dem Boten die Harfensaite in den Mund gezwungen hatten, und jetzt hatte uns die Leiche gezeigt, dass sie das Sendzeichen erhalten hatte. »Warum lasst ihr mir meinen Frieden nicht?« Der tote Mann sprach mit einer brüchigen, halblauten Stimme, und neben mir gab Finan ein Geräusch von sich, das wie sein letzter Seufzer klang.
    »Willkommen, Bjorn«, sagte Haesten. Von allen Versammelten schien sich allein Haesten durch die lebende Gegenwart des Leichnams nicht beunruhigen zu lassen. Man konnte sogar etwas wie Vergnügen aus seinem Ton heraushören. »Ich will meinen Frieden«, keuchte Bjorn. »Das ist der Herr Uhtred«, sagte Haesten und deutete dabei auf mich, »der viele gute Dänen an den Ort geschickt hat, an dem du jetzt lebst.« »Ich lebe nicht«, sagte Bjorn mit Bitterkeit. Dann begann er zu ächzen, und seine Brust hob und senkte sich krampfhaft, als schmerze die Nachtluft in seinen Lungen. »Ich verfluche dich«, sagte er zu Haesten, doch seine Stimme war so schwach, dass aus den Worten keine Bedrohung sprach. Haesten lachte. »Ich habe heute eine Frau gehabt, Bjorn. Erinnerst du dich noch an Frauen? An ihre weichen Schenkel? An ihre warme Haut? Erinnerst du dich an ihre Geräusche, wenn du in sie stößt?« »Möge Hei dich küssen bis zum Ende der Zeiten«, sagte Bjorn, »bis zur letzten Weltenverwirrung.« Hei war die Göttin des Todes, die verwesende Leiche einer Göttin, und der Fluch war grässlich, doch Bjorn sprach so schleppend, dass dieser zweite Fluch ebenso wie der erste nur eine leere Drohung war. Die Augen des toten Mannes waren geschlossen, seine Brust zuckte immer noch, und seine Hände machten sinnlose Greifbewegungen in der kalten Luft.
    Ich war vor Furcht erstarrt und gebe es gerne zu. Es ist eine Gewissheit in dieser Welt, dass die Toten in ihre Häuser in der Erde eingehen und dort auch bleiben. Die Christen sagen,

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