Schwertgesang
eines Mannes auf dem Gewissen haben, der es nicht verdient hatte zu sterben. Wir befanden uns in keiner Schlacht, in der ein Mann die Möglichkeit hat, den Weg zu den ewigen Freuden der Totenhalle Odins anzutreten. »Er ist ein Dieb«, sagte Haesten. »Ein zweifacher Dieb«, fügte Eilaf hinzu. Ich ging zu dem jungen Mann hinüber, hob sein Kinn an und sah das Brandmal des verurteilten Räubers auf seiner Stirn. »Was hast du gestohlen?«, fragte ich ihn. »Eine Decke, Herr«, flüsterte er. »Es war kalt.« »War das dein erster Diebstahl?«, fragte ich, »Oder der zweite?« »Der erste war ein Lamm«, sagte Eilaf hinter mir. »Ich hatte Hunger, Herr«, sagte der junge Mann, »und mein Kind wäre fast verhungert.« »Du hast zwei Mal gestohlen«, sagte ich, »und das bedeutet, dass du sterben musst.« So lautete das Gesetz sogar in diesem gesetzlosen Land. Der junge Mann schluchzte, starrte mich aber immer weiter an. Er hoffte, ich würde von Mitleid ergriffen und befehlen, dass sein Leben geschont würde, doch ich wandte mich ab. Ich habe in meinem Leben vieles gestohlen, und fast alles war wertvoller als eine Decke oder ein Lamm, aber ich stehle, während der Besitzer zusieht und seinen Besitz mit seinem Schwert verteidigen kann. Es ist der Dieb, der im Verborgenen stiehlt, der den Tod verdient, Huda bekreuzigte sich wieder und wieder. Er war sehr unruhig. Der junge Mann rief mir unverständliche Worte zu, bis ihm einer seiner Bewacher hart über den Mund schlug. Da ließ er den Kopf hängen und schluchzte nur noch. Finan und meine drei Sachsen klammerten sich an die Kreuze, die sie um den Hals trugen. »Seid Ihr bereit, Herr?«, fragte mich Haesten. »Ja«, sagte ich und bemühte mich um einen überlegenen Klang meiner Stimme, aber in Wirklichkeit war ich ebenso angespannt wie Finan. Ein Vorhang trennte unsere Welt vom Reich der Toten, und ein Teil von mir wollte, dass dieser Vorhang geschlossen blieb. Unwillkürlich tastete ich nach Schlangenhauchs Heft, aber natürlich war es nicht da.
»Steckt ihm die Botschaft in den Mund«, befahl Haesten. Einer der Bewacher versuchte den Kiefer des jungen Mannes aufzuspreizen, doch der Gefangene widerstand so lange, bis ein Messer auf seine Lippen einstach, erst dann öffnete er den Mund. Etwas wurde auf seine Zunge gelegt. »Eine Harfensaite«, erklärte mir Haesten, »Bjorn wird seine Bedeutung verstehen. Tötet ihn jetzt«, setzte er für die Bewacher hinzu. »Nein!«, schrie der junge Mann und spuckte die zusammengerollte Saite aus. Er begann zu weinen und zu schluchzen, als ihn die beiden Männer zu einem der Erdhügel zerrten. Sie stellten sich an den beiden Seiten des Hügels auf und hielten ihren Gefangenen auf dem Grab fest. Auf dem Friedhof roch es nach frischem Regen. »Nein, bitte, nein!«, heulte der junge Mann zitternd. »Ich habe eine Frau, ich habe Kinder, nein! Bitte!« »Tötet ihn«, befahl Eilaf der Rote. Einer der Bewacher schob die Harfensaite wieder in den Mund des Boten und presste ihm danach die Kiefer zusammen. Er kippte den Kopf des jungen Mannes zurück, zerrte ihn so hart nach hinten, dass die Kehle entblößt war, und der zweite Däne hieb sie mit einem schnellen geübten Schlag durch und riss gleich darauf die Klinge wieder zurück. Ich vernahm ein ersticktes, kehliges Geräusch und sah das hervorschießende Blut im Licht der Flammen schwarz aufglühen. Es bespritzte die beiden Männer, regnete über das Grab und klatschte schwer und nass auf das feuchte Gras. Der Körper des Boten zuckte eine Zeit lang, während der Blutstrom schwächer wurde. Dann schließlich sank der junge Mann zwischen seinen beiden Bewachern zusammen, die abwarteten, bis auch noch die letzten Blutstropfen auf das Grab gefallen waren. Erst als kein Blut mehr kam, zogen sie ihn weg und warfen seine Leiche neben den hölzernen Zaun des Friedhofs. Ich hielt den Atem an. Keiner von uns rührte sich. Eine Eule, deren Flügel in der nächtlichen Dunkelheit erstaunlich weiß aussahen, flog niedrig über mich hinweg, und ich griff unwillkürlich nach meinem Hammeramulett, denn ich war überzeugt, dass ich gerade die Seele des Diebes auf ihrem Weg in die andere Welt gesehen hatte.
Haesten stand dicht neben dem blutdurchtränkten Grab. »Du hast Blut, Bjorn!«, rief er. »Ich habe dir ein Leben gegeben! Ich habe dir eine Botschaft gesandt!«
Nichts. Der Wind strich seufzend um das Strohdach der Kirche. Irgendwo in der Dunkelheit bewegte sich ein Tier und blieb dann wieder still
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