Schwertgesang
fegt und die Spreu in den Himmel wirbeln lässt. Ich dachte keine klaren Gedanken. Ich war ebenso durcheinander wie die emporgewirbelte Spreu im Wind, und ich wog meinen Schwur auf Alfred nicht gegen meine Zukunft als König ab. Ich sah einfach nur zwei Wege vor mir, einer davon war mühevoll und steil, und der andere ein breites grünes Tal, das zu einem Königreich führte. Und außerdem, welche Wahl hatte ich schon? Wyrd biö ful ärad. Dann, inmitten des Schweigens, kniete Haesten unvermittelt vor mir nieder. »Herr König«, sagte er, und aus seiner Stimme klang unerwartete Ehrerbietung.
»Du hast deinen Schwur auf mich gebrochen«, sagte ich schroff. Warum sagte ich das in diesem Augenblick? Ich hätte ihn früher zur Rede stellen können, im Palas, doch ich sprach die Beschuldigung erst vor dem offenen Grab aus. »Das habe ich getan, Herr König«, sagte er, »und ich bedaure es.«
Ich verharrte. Was dachte ich? Dass ich schon König wäre? »Ich vergebe dir«, sagte ich dann. Ich hörte meinen Herzschlag. Bjorn sah uns nur aufmerksam an, und das Licht des Feuers warf tiefe Schatten auf sein Gesicht.
»Ich danke Euch, Herr König«, sagte Haesten, und neben ihm kniete Eilaf der Rote nieder, und dann knieten sich auch alle anderen Männer auf diesem regennassen Friedhof vor mich hin. »Noch bin ich nicht König«, sagte ich, mit einem Mal beschämt über den herrschaftlichen Ton, den ich Haesten gegenüber angeschlagen hatte.
»Das werdet Ihr aber, Herr«, sagte Haesten. »Die Nornen haben es verkündet.« Ich wandte mich an den Leichnam. »Was haben die drei Spinnerinnen sonst noch gesagt?« »Dass du König werden wirst«, sagte Bjorn, »und König über andere Könige. Du wirst Herr über das Land zwischen den Flüssen und die Geißel deiner Feinde. Du wirst König werden.« Unvermittelt hielt er inne und verkrampfte sich. Sein Oberkörper wurde nach vorn geworfen und von unbeherrschtem Zucken gepackt, dann hörten die Krämpfe wieder auf, und Bjorn blieb bewegungslos und leicht vorgebeugt stehen, ein trockenes Würgen kam aus seiner Kehle. Dann sank er langsam über dem aufgewühlten Grabhügel in sich zusammen. Haesten erhob sich von den Knien. »Begrabt ihn wieder«, sagte er schroff zu den beiden Männern, die dem Sachsen die Kehle durchgeschnitten hatten. »Seine Harfe«, sagte ich. »Ich werde sie ihm morgen zurückgeben, Herr«, sagte Haesten. Dann deutete er auf Eilafs Palas. »Dort gibt es Essen, Herr König, und Bier. Und eine Frau für Euch. Auch zwei, wenn Ihr wollt.« »Ich habe eine Frau«, sagte ich unfreundlich. »Dann erwarten Euch dort Essen, Bier und Wärme«, sagte er demütig. Die anderen Männer standen auf. Meine Krieger sahen mich seltsam an, sie waren verwirrt von der Botschaft, die sie vernommen hatten, doch ich beachtete sie nicht.
König über andere Könige. Herr über das Land zwischen den Flüssen. König Uhtred. Einmal wandte ich mich um und sah zwei Männer die Erde wegscharren, um Bjorns Grab wieder vorzubereiten, und dann folgte ich Haesten in den Palas und setzte mich auf den Stuhl, der in der Mitte an der Tafel stand, den Stuhl des Herrn, und betrachtete die Männer, die miterlebt hatten, wie der Tote auferstand, und ich sah, dass sie ebenso überzeugt waren, wie ich überzeugt war, und das bedeutete, dass sie Haesten mit ihren Truppen unterstützen würden. Der Aufstand gegen Guthrum, der Aufstand, der sich über ganz Britannien ausbreiten und Wessex vernichten sollte, wurde von einem toten Mann angeführt. Ich stützte mein Kinn in die Hände. Ich dachte daran, ein König zu sein. Ich dachte daran, ganze Heere zu fuhren. »Eure Frau ist Dänin, wie ich höre?«, unterbrach Haesten meine Gedanken. »Das ist sie«, sagte ich.
»Dann werden die Sachsen von Mercien einen sächsischen König haben«, sagte er, »und die Dänen von Mercien werden eine dänische Königin haben. So werden sie alle zufrieden sein.« Ich hob den Kopf und sah ihn aufmerksam an. Ich wusste, dass er schlau und gerissen war, doch an diesem Abend verhielt er sich mit Bedacht unterwürfig und respektvoll. »Was willst du, Haesten?«, fragte ich ihn.
»Sigefrid und Erik«, sagte er, ohne meine Frage zu beantworten, »wollen Wessex erobern.« »Der alte Traum«, gab ich höhnisch zurück. »Und um das zu tun«, sagte er, als habe er meinen Hohn nicht wahrgenommen, »brauchen wir die Männer aus Northumbrien. Ragnar wird kommen, wenn Ihr ihn darum bittet.« »Das wird er«, stimmte ich zu. »Und
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