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Schwertgesang

Schwertgesang

Titel: Schwertgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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unsere Körper werden eines Tages auferstehen, und die Lüfte werden erfüllt sein von dem Klang der Engelstrompeten, und der Himmel wird glänzen wie getriebenes Gold, wenn die Toten wieder aus der Erde steigen, aber das habe ich nie geglaubt. Wir sterben und wir gehen in die jenseitige Welt, und dort bleiben wir. Doch Bjorn war zurückgekommen. Er hatte mit den Stürmen der Finsternis gekämpft und mit den Gezeiten des Todes, und er hatte sich in diese Welt zurückgequält und jetzt stand er vor uns, hager und groß und verdreckt und keuchend, und ich zitterte. Finan hatte sich auf ein Knie fallen lassen. Meine anderen Männer standen hinter mir, aber ich wusste, dass sie schlotterten, genau wie ich schlotterte. Nur Haesten schien unberührt von der Gegenwart des toten Mannes. »Sag dem Herrn Uhtred«, befahl er Bjorn, »was du von den Nornen erfahren hast.«
    Die Nornen sind die Parzen, die drei Frauen, die unsere Lebensfäden am Fuße des Weltenbaumes Yggdrasil spinnen. Bei jeder Geburt eines Kindes beginnen sie einen neuen Faden zu spinnen, und sie wissen, wohin er fuhren, mit welchen anderen Fäden er sich verweben und wann er verbraucht sein wird. Sie wissen alles. Dort sitzen sie und spinnen und lachen uns aus, und manchmal überschütten sie uns mit Glück und manchmal verdammen sie uns zu Schmerz und Tränen. » Sag ihm«, forderte Haesten ungeduldig, »was die Nornen über ihn erzählt haben.« Bjorn sagte nichts. Seine Brust hob und senkte sich schwer und seine Hände zuckten. Seine Augen waren geschlossen.
    »Erzähl es ihm«, sagte Haesten, »und ich gebe dir deine Harfe zurück.«
    »Meine Harfe«, wimmerte Bjorn flehentlich, »ich will meine Harfe.«
    »Ich lege sie dir in dein Grab zurück«, sagte Haesten, »dann kannst du vor den Toten singen. Aber zuerst sprichst du vor dem Herrn Uhtred.« Bjorn schlug die Augen auf und starrte mich an. Ich erschrak vor diesen düsteren Augen, doch ich zwang mich zurückzustarren, heuchelte eine Tapferkeit, die ich nicht in mir spürte. »Du wirst König werden, Herr Uhtred«, sagte Bjorn und stieß ein langgezogenes Stöhnen aus wie ein Geschöpf, das Schmerzen leidet. »Du wirst König werden«, seufzte er.
    Der Wind war kalt. Fein sprühender Regen benässte meine Wangen. Ich sagte nichts. »König von Mercien«, sagte Bjorn unvermittelt mit erstaunlich lauter Stimme. »Du wirst zum König der Sachsen und Dänen werden, zum Feind der Waliser, zum König zwischen den Flüssen und zum Herrn über alle, die du regierst. Du wirst mächtig werden, Herr Uhtred, denn die drei Spinnerinnen lieben dich.« Er starrte mich an, und obwohl er mir ein glänzendes Schicksal voraussagte, lag Böswilligkeit in seinen toten Augen. »Du wirst König werden«, sagte er, und das Wort König klang wie Gift aus seinem Mund. Da verging meine Furcht. Sie wurde von einer Woge des Stolzes und des Machtgefühls weggespült. Ich bezweifelte Bjorns Botschaft nicht, denn die Götter sprechen nicht leichtfertig, und die Spinnerinnen kennen unser Schicksal. Wir Sachsen sagen wyrd biö ful ärad, und sogar die Christen glauben an diese Wahrheit. Das Schicksal ist unausweichlich. Das Schicksal lässt sich nicht ändern. Das Schicksal herrscht über uns. Unsere Leben werden gemacht, bevor wir sie leben. Und ich sollte König von Mercien werden.
    An Bebbanburg dachte ich in diesem Moment nicht. Bebbanburg ist mein Landbesitz, meine Festung am Rande des Nordmeers, meine Heimat. Ich glaubte mein ganzes Leben lang, dass ich dazu bestimmt war, mir Bebbanburg von meinem Onkel zurückzuholen, der es mir gestohlen hatte, als ich noch ein Kind war. Ich träumte von Bebbanburg, und in meinen Träumen sah ich schroffe Felsen die graue See weiß schäumend zerspalten, und ich spürte, wie die Stürme an dem Strohdach des Palas zerrten, doch als Bjorn sprach, dachte ich nicht an Bebbanburg. Ich dachte daran, ein König zu sein. Ein Land zu regieren. Ein großes Heer zu führen und meine Feinde zunichtezumachen. Und ich dachte an Alfred, an die Pflicht, die ich ihm schuldig war, und die Versprechen, die ich ihm gegeben hatte. Ich wusste, dass ich zum Eidesbrecher werden musste, wenn ich König sein wollte, doch wem werden Eide geleistet? Sie werden Königen geleistet, daher hatte ein König die Macht, mich von meinem Schwur zu entbinden, und so sagte ich mir, dass ich mich als König selbst von jedem beliebigen Eid entbinden konnte, und all das schoss durch meinen Kopf, wie ein Windstoß über den Dreschplatz

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