Schwertgesang
wenn Ragnar kommt, werden ihm weitere folgen.« Er brach einen Laib Brot durch und schob mir das größere Stück zu. Eine Schale Eintopf stand vor mir, doch ich rührte sie nicht an. Stattdessen begann ich das Brot zu zerkrümeln, um festzustellen, ob Granitstückchen darin waren, die sich vom Mahlstein gelöst hatten. Ich dachte nicht darüber nach, was ich da tat, sondern hielt nur meine Hände beschäftigt, während ich Haesten beobachtete.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte ich.
»Was willst du?«
»Ostanglien«, sagte er.
»König Haesten?«, sagte ich lächelnd.
»Warum nicht, Herr König«, gab er zurück, und sein Lächeln wurde noch breiter.
»König Æthelwold in Wessex«, sagte Haesten, »König Haesten in Ostanglien und König Uhtred in Mercien.«
»Æthelwold?«, fragte ich spöttisch und rief mir Alfreds immerzu betrunkenen Neffen vor Augen.
»Er ist der rechtmäßige König von Wessex, Herr«, sagte Haesten.
»Und wie lange wird er am Leben bleiben?« »Nicht sehr lange«, räumte Haesten ein, »es sei denn, er ist stärker als Sigefrid.« »Also heißt es Sigefrid von Wessex?«, fragte ich. Haesten lächelte. »Am Ende, Herr, ja.« »Und was ist mit seinem Bruder, Erik?« »Erik liebt das Leben als Wikinger«, sagte Haesten. »Sein Bruder nimmt Wessex und Erik nimmt die Schiffe. Erik wird auf den Meeren ein König sein.« Also würde es Sigefrid von Wessex werden, Uhtred von Mercien und Haesten von Ostanglien. Drei hinterlistige Wiesel in einem Sack, dachte ich, aber ich sagte es nicht. »Und wo«, fragte ich stattdessen, »nimmt dieser Traum seinen Anfang?« Sein Lächeln erlosch. Er war jetzt ganz ernst. »Sigefrid und ich haben Männer. Nicht genügend, aber den Kern eines guten Heeres. Ihr bringt Ragnar mit den northumbrischen Dänen, und damit haben wir mehr als genug Kämpfer, um Ostanglien zu nehmen. Die Hälfte von Guthrums Grafen wird sich uns anschließen, wenn sie Euch und Ragar sehen. Dann gliedern wir die Männer von Ostanglien in unsere Streitmacht ein und erobern Mercien.«
»Und die Männer von Mercien gliedern wir ein«, sprach ich für ihn weiter, »um Wessex zu erobern?« »Ja«, sagte er. »Wenn die Blätter fallen«, setzte er fort, »und die Scheunen gefüllt sind, werden wir in Wessex einrücken.«
»Aber ohne Ragnar«, sagte ich, »könnt Ihr nichts tun.«
Er neigte zustimmend den Kopf. »Und Ragnar wird sich uns nicht anschließen, solange Ihr nicht auf unserer Seite seid.«
Es könnte gelingen, dachte ich. Guthrum, der dänische König von Ostanglien, war wiederholt mit dem Vorhaben gescheitert, Wessex zu erobern, und jetzt hatte er seinen Frieden mit Alfred geschlossen. Aber nur, weil Guthrum ein Christ geworden und nun ein Verbündeter Alfreds war, hieß das noch nicht, dass auch die anderen Dänen ihre Träume von den üppigen Feldern in Wessex aufgegeben hatten. Wenn genug Männer zusammengebracht werden konnten, dann würde Ostanglien fallen, und seine Grafen, die immerzu auf Beute aus waren, würden in Mercien einbrechen. Danach konnten Northumbrier, Mercier und Ostangeln gemeinsam Wessex angreifen, das wohlhabendste Königreich und das letzte sächsische Königreich im Lande der Sachsen.
Doch ich war Alfreds Schwurmann. Ich hatte geschworen, Wessex zu verteidigen. Ich hatte vor Alfred einen Eid abgelegt, und ohne Eide sind wir nicht besser als die Tiere. Aber die Nornen hatten gesprochen. Das Schicksal ist unausweichlich, es kann nicht überlistet werden. Mein Lebensfaden war schon verwoben, und ich konnte seinen Verlauf genauso wenig verändern, wie ich die Sonne im Osten untergehen lassen konnte. Die Nornen hatten einen Boten über den schwarzen Totenfluss geschickt, um mir zu sagen, dass mein Eid gebrochen werden musste und dass ich König würde, und deshalb nickte ich Haesten zu. »So sei es«, sagte ich.
»Ihr müsst mit Sigefrid und Erik sprechen«, sagte er, »und wir müssen uns Eide schwören.« »Ja«, sagte ich.
»Morgen«, sagte er und beobachtete mich genau, »machen wir uns auf den Weg nach Lundene.« So hatte es angefangen. Sigefrid und Erik bereiteten sich darauf vor, Lundene zu verteidigen, und indem sie das taten, forderten sie die Leute von Mercien heraus, die Lundene für sich beanspruchten, und sie forderten Alfred heraus, der befürchtete, Lundene könnte zur Festung einer feindlichen Streitmacht werden, und sie forderten Guthrum heraus, der den Frieden in Britannien gewahrt sehen wollte. Doch Frieden würde es
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