Schwester der Finsternis - 11
hatte.
»Was ist passiert?«, schrie Cara. »Was habt Ihr getan?«
Die Welt schien sich zu drehen. Richard spürte, wie die abscheulich feuchte Wärme seines Bluts an ihm herabsickerte. Er spürte sein Gewicht gegen Caras Körper. Ganz dicht über ihm erschien Kahlan.
»Richard! Oh, bei den Gütigen Seelen, nein. Das darf nicht sein. Das ist unmöglich.« Tränen der Panik strömten über ihr hübsches Gesicht. Er vermochte nicht zu begreifen, was sie hier tat. Wieso war sie in der Alten Welt? Was tat sie im Palast des Kaisers?
Er konnte nicht umhin, über das Wiedersehen zu lächeln.
Ob sie wohl seine Statue gesehen hatte, bevor er sie zerstören musste? Womöglich war ihm ein entsetzlicher Fehler unterlaufen.
Nein, es war Kahlans einzige Chance, ihre Freiheit wiederzuerlangen.
Seine einzige Chance, Niccis Bann zu brechen.
Nicci kam noch immer auf sie zugerannt.
»Hilf mir, Nicci«, rief Richard. Was herauskam, war wenig mehr als ein Flüstern. »Ich brauche dich, du musst mich retten, Nicci. Bitte.« Auch wenn es nicht mehr war als ein Flüstern, Nicci erhörte seine flehentliche Bitte.
Nicci war noch nie so schnell gerannt; das Entsetzen hatte sie in seinem unerschütterlichen Griff. Es war ein entsetzlicher Fehler, es war ein so entsetzlicher Fehler gewesen. Nicci hatte ihnen beiden so viele Schmerzen zugefügt. Es war ihre Schuld.
Selbst in ihrem Schockzustand war ihr in aller Klarheit bewusst, was sie zu tun hatte.
Sie konnte ihn heilen. Kahlan war hier. Nicci vermochte nicht einmal ansatzweise zu begreifen, wieso oder aus welchem Grund, aber sie war hier. Jetzt, da Kahlan hier war, konnte sie den Bann aufheben. War der Bann erst einmal aufgehoben, konnte Nicci ihre Gabe einsetzen. Sie konnte Richard heilen. Alles war in Ordnung. Sie konnte ihn retten. Alles würde gut werden. Sie konnte es wieder gutmachen. Sie konnte es.
Sie konnte etwas Richtiges tun und ausnahmsweise einmal helfen – wirklich helfen.
Ein Arm schnellte aus dem Dunkel hervor, packte sie im Nacken und riss sie von den Füßen. Sie schrie auf, als sie in die Dunkelheit hineingezogen wurde. Sie spürte die Wölbung harter Muskeln, als sie an dem Arm zu reißen versuchte. Der Mann stank. Sie fühlte die feine Berührung seiner Läuse im Gesicht, als diese auf sie übersprangen.
Entsetzen packte sie. Ein so unvermitteltes und intensives Gefühl des Entsetzens war eine vollkommen neue Erfahrung für sie, die alle ihre Gedanken überlagerte.
Sie stemmte ihre Fersen in den Steinfußboden, als er sie nach hinten in das dunkle Labyrinth schleppte. Wie von Sinnen trat sie nach ihm und versuchte, ihren Dacra aus dem Ärmel zu ziehen, doch er packte ihren Arm und bog ihn auf den Rücken.
Sein Unterarm presste sich gegen ihre entblößte Kehle und schnürte ihr die Luft ab, während er sie von den Füßen hob.
Nicci konnte nicht atmen. Vor Wonne glucksend schleppte er sie in die dunkleren Winkel der Räumlichkeiten unter Kaiser Jagangs Palast.
Ihre Blicke trafen sich just in dem Moment, als sie völlig unvermittelt und gewaltsam in die Dunkelheit gerissen wurde. Richard erblickte etwas Bedeutendes in diesen Augen, er sah, dass Nicci die Absicht hatte, ihm zu helfen. Doch dann war sie verschwunden.
Cara umklammerte verzweifelt seine Schultern, als er sich nach hinten gegen sie sinken ließ. Ihm war kalt, und sie war so warm.
Kahlan wich, sich heftig wehrend, zurück in die Dunkelheit. Sie fasste sich an den Hals. Er konnte hören, wie sie würgte.
»Mutter Konfessor! Mutter Konfessor! Was ist?«
Richard langte nach oben, bekam Caras Hinterkopf zu fassen und zog ihr Gesicht zu sich herunter. »Kahlan wird sterben, und Nicci ist die Einzige, die mich heilen kann. Geht schon. Beeilt Euch.«
Er spürte Caras Nicken, bevor er ihren Kopf losließ.
»Verstehe«, war alles, was sie sagte, als sie ihn – behutsam, aber schnell – wieder auf den kalten Steinfußboden legte.
Dann war sie verschwunden.
Es war feucht. Er wusste nicht, ob es Blut war oder Wasser. Sie befanden sich unter der Erde, in den unteren Gefilden des Ruhesitzes. Durch die Lücken im Gebälk, dort, wo die Dielung oben noch nicht verlegt war, fiel das Mondlicht herein und beschien, nicht weit entfernt, Kahlans Versuche, sich zu wehren. In diesem Augenblick, während sie mit einem unsichtbaren Gegner rang, erkannte er, dass es Wasser war. Das war es, kein Blut, sondern Wasser. Der Palast lag unmittelbar am Fluss, daher die Feuchtigkeit in den winzigen Kammern und Fluren
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