Schwester der Finsternis - 11
heraus, dass sie verschollen war.«
Nicci rührte sich noch immer nicht. »Verstehe.«
Schwester Georgia breitete abermals die Hände aus und heuchelte Arglosigkeit. »Das war ungefähr zu der Zeit, als auch die Prälatin verschwand.«
Nicci tat ihnen nicht den Gefallen, ihnen zu zeigen, wie erstaunt sie war.
»Was wollte Verna hier?«
»Nicht Verna«, sagte Schwester Rochelle. Sie beugte sich vor. »Sondern Ann.«
Schwester Georgia warf Rochelle zum Zeichen ihres Missfallens, dass sie die Überraschung verdorben hatte, einen finsteren Blick zu, denn eine Überraschung war es in der Tat. Die alte Prälatin war verstorben – zumindest hatte man Nicci dies berichtet. Seit ihrer Abreise aus dem Palast hatte Nicci von all den anderen Schwestern, Novizinnen und jungen Männern gehört, die der Feuerbestattung von Ann und dem Propheten Nathan in jener Nacht beigewohnt hatten. Wie sie Ann kannte, war offensichtlich eine Art Täuschungsmanöver im Gange, aber dergleichen wäre selbst für sie ungewöhnlich.
Die drei Schwestern strahlten über das ganze Gesicht. Sie schienen ganz versessen darauf, ausgiebig mit ihr zu plaudern.
»Erklärt mir nur das Wichtigste, für die ausführliche Version fehlt mir die Zeit. Seine Exzellenz wünscht mich zu sehen.« Aufmerksam registrierte Nicci, wie das Lächeln der drei erlosch. In gleichmütigem Tonfall fuhr sie fort: »Es sei denn, Ihr wollt riskieren, dass er wütend und voller Ungeduld hier erscheint, um mich zu sehen.«
Die Schwestern Rochelle und Aubrey wurden blass.
Georgia gab ihr Spiel auf und ging wieder dazu über, sich die Hände zu reiben. »Die Prälatin kam ins Lager, als Ihr fort wart, und wurde gefangen genommen.«
»Warum sollte sie sich mitten in die Höhle des Löwen wagen?«
»Um uns zu überreden, mit ihr zusammen zu fliehen«, platzte Schwester Rochelle heraus. Ein schrilles Kichern – eher nervös als amüsiert – sprudelte aus ihr hervor. »Sie erzählte irgendeine alberne Geschichte, die Chimären seien auf freiem Fuß, und die Magie sei im Begriff zu versiegen. Man stelle sich vor! Verrückte Geschichten waren das! Sie erwartete, dass wir ihr glauben…«
»Das also ist passiert…«, sagte Nicci leise, den Blick nachdenklich in die Ferne gerichtet. Sie erkannte augenblicklich, dass dies keinesfalls eine verrückte Geschichte war. Die Einzelteile begannen zueinander zu passen. Nicci hatte stets von ihrer Gabe Gebrauch gemacht, was den anderen nicht gestattet war, daher wussten sie vielleicht nicht, dass die Magie eine Zeit lang versagt hatte.
»Das hat sie wenigstens behauptet«, meinte Schwester Georgia.
»Die Magie hat also versagt«, dachte Nicci laut nach, »und sie glaubte, das würde den Traumwandler daran hindern, Euren Verstand zu kontrollieren.«
Es erklärte womöglich auch so manches andere, was Nicci nicht verstand: zum Beispiel, warum Jagang manchmal nicht in ihren Verstand eindringen konnte.
»Aber wenn die Chimären auf freiem Fuß sind…«
»Waren«, verbesserte Schwester Georgia. »Selbst wenn es für eine Zeit zugetroffen hätte, jetzt sind sie wieder vertrieben. Seine Exzellenz hat ungehinderten Zugang zu uns, wie ich erfreut feststellen kann, und alles andere, was die Magie betrifft, ist wieder ganz normal.«
Nicci konnte förmlich sehen, wie die drei sich fragten, ob Jagang ihren Worten lauschte. Aber wenn die Magie wieder zur Normalität zurückgekehrt war, müsste Jagang in Niccis Verstand lauern, doch das war nicht der Fall. Sie fühlte den Funken möglichen Begreifens aufleuchten und wieder erlöschen. »Der Prälatin ist also ein grober Fehler unterlaufen, und Jagang hat sie gefangen genommen.«
»Nun … nicht ganz«, sagte Schwester Rochelle.
»Schwester Georgia hat die Wachen geholt. Wir haben sie verraten, wie es unsere Pflicht war.«
Nicci brach in schallendes Gelächter aus. »Ihre eigenen Schwestern des Lichts? Welche Ironie! Sie riskiert, während die Chimären die Magie ausgesetzt haben, ihr Leben, um hierher zu kommen und Eure wertlose Haut zu retten, und anstatt mit ihr zu fliehen, liefert Ihr sie aus. Wie passend!«
»Das mussten wir doch!«, protestierte Schwester Georgia. »Seine Exzellenz hätte es so gewollt. Unsere Aufgabe ist es, zu dienen. Wir sind nicht so dumm, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Wir wissen, was sich für uns geziemt.«
Nicci ließ den Blick über die angespannten Gesichter schweifen, die Gesichter jener Frauen, die dem Licht des Schöpfers die Treue geschworen hatten,
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