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Schwester der Finsternis - 11

Schwester der Finsternis - 11

Titel: Schwester der Finsternis - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Goodkind
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vorziehend.
    Zuerst küsste er sie, so wie ein Mann eine Frau küsst, nicht wie ein Rohling sein Opfer. Sie ließ es mit nicht mehr Gewogenheit über sich ergehen als alles andere. Er schien es diesmal gar nicht zu bemerken, nach dem Lächeln auf seinem Gesicht hatte er offenbar Gefallen daran gefunden.
    »Wenn man alle Korridore durchwandern will, entspricht das einem Fußmarsch von beinahe fünfzehn Meilen.« Er machte eine ausladende Handbewegung und begann, den Palast in der Luft vor ihnen zu skizzieren. Während er weitersprach, blieb sein Blick auf die imaginären Umrisse geheftet, die dort im leeren Raum standen.
    »Die Welt hat noch nichts Vergleichbares gesehen. Während ich unser Werk fortführe, der Neuen Welt die Hoffnung der Imperialen Ordnung zu geben, den Sündigen und Habgierigen das wahre Wort des Schöpfers zu verkünden und die selbstsüchtigen Ideale der alten Religion der Magie auszumerzen, werden zu Hause in meinem Heimatland die Arbeiten zur Errichtung des Palastes fortgesetzt. Steinbrüche werden auf Jahre hinaus damit beschäftigt sein, all das Felsgestein zu gewinnen, das man bei dem Bau verarbeiten wird. Die Vielfalt der Gesteinsarten wird keinen Zweifel an der Pracht des Bauwerkes lassen. Der Marmor wird vom Feinsten, das Holz ausschließlich vom Allerbesten sein. Nur außergewöhnliche Materialien werden im Palast Verwendung finden. Aus alledem werden die besten Handwerker ein prachtvolles Bauwerk schaffen.«
    »Gewiss, doch obwohl vielleicht noch andere dort leben werden«, spottete sie mit kühler Verachtung, »wird er nichts weiter sein als das pomphafte Denkmal eines einzelnen Mannes: des großen und mächtigen Kaisers Jagang.«
    »Nein, er wird dem Ruhm des Schöpfers geweiht sein.«
    »Ach ja? Dann wird der Schöpfer dort ebenfalls seinen Wohnsitz nehmen?«
    Jagang runzelte missbilligend die Stirn wegen ihrer gotteslästerlichen Bemerkung. »Bruder Narev möchte, dass der Palast belehrend auf das Volk einwirkt. Während ich der Imperialen Ordnung den Weg bereite, stellt er dem Vorhaben seinen geistigen Beistand zur Verfügung und wird die Bauarbeiten persönlich überwachen.«
    Das war es, was sie wissen wollte.
    Er starrte auf die unsichtbaren Linien, die noch immer in der Luft vor ihnen standen. Seine Stimme bekam einen ehrfürchtigen Beiklang.
    »In diesem Punkt teilt Bruder Narev meine Vision. Er war immer wie ein Vater zu mir, er hat das Feuer in meinem Leib entfacht. Seine spirituelle Unterweisung war mir ein Leben lang Inspiration. Er erlaubt mir, im Vordergrund zu stehen und den Ruhm für unsere Siege zu beanspruchen, doch ohne seine Unterweisung in Moral wäre ich ein Nichts. Was ich gewinne, gewinne ich als ausführende Hand des Ordens, doch eine Hand ist nur ein Teil des Ganzen, so wie wir alle nichts als unbedeutende Einzelteile der Gesellschaft als Ganzes sind. Ihr habt Recht: zahlreiche andere könnten meinen Platz im Orden einnehmen, dennoch ist es meine Pflicht, die Rolle des Führenden zu übernehmen. Ich würde das von Bruder Narev in mich gesetzte Vertrauen niemals enttäuschen – das käme einem Verrat an unserem Schöpfer gleich. Er weist uns allen den Weg.
    Mein Gedanke zielte ausschließlich darauf ab, einen angemessenen Palast für uns alle zu errichten, einen Ort, von dem aus ich zum Wohle aller herrschen kann. Bruder Narev war es, der diesen Traum aufgriff und ihm eine moralische Bedeutung verlieh, indem er sich vorstellte, wie jeder beim Anblick dieses Bauwerkes den Platz des Menschen innerhalb der neuen Ordnung vor sich sieht – da der Mensch dem Ruhm des Schöpfers niemals gerecht werden kann und er, als Einzelner, nichts weiter ist als ein bedeutungsloses Mitglied der größeren Gemeinschaft aller Menschen. Deshalb kommt ihm keine andere Rolle zu, als seine bedürftigen Mitmenschen moralisch aufzurichten, damit sie gemeinsam Erfolg haben können. Gleichzeitig wird es aber auch ein Ort sein, der die Menschen zur Demut anhält, denn er wird ihnen im Angesicht der Herrlichkeit ihres Schöpfers ihre völlige Bedeutungslosigkeit vor Augen führen, ihnen die Verderbtheit des Menschen, sein gequältes, gebeugtes, minderwertiges Wesen zeigen, denn darin gleichen sich alle Menschen dieser Welt.«
    Nicci sah den Palast beinahe vor sich, als er von ihm sprach. Er würde in der Tat eine der Bescheidenheit förderliche Wirkung auf das Volk haben. Fast wäre es ihm gelungen, sie mit diesem Gerede ebenso zu begeistern, wie dies Bruder Narev wohl seinerzeit gelungen

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