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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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schüttelte den Kopf. »Ich war lediglich in ihrer Wohnung. Aber ich habe nichts gefunden. Nichts, was dem Jungen helfen könnte.«
    »Aber er weiß von seiner Großmutter?«
    Catos Handy klingelte. Er nahm den Anruf entgegen. Er erkannte die Stimme auf Anhieb. »Wo sind Sie?«
    »Vor wenigen Minuten in Berlin angekommen.«
    Ein Moment der Stille. »Es tut mir Leid. Sie müssen nach London.«
    »Noch heute?«
    »Sofort.«
    Cato stöhnte auf. Heute schienen sich seine Aufenthalte in den Städten auf wenige Minuten zu beschränken.
    »Dann werden wir uns auf den Weg machen.«
    »Nein«, schallte de Gussas Stimme aus dem Hörer. »Nur Sie alleine! Lacie soll sich vorerst um den Jungen kümmern.«
    »Und was mache ich in London?«
    »Suchen Sie das Hotel North Side in Hampstead. Ich habe von einer jungen Frau namens…« Er stockte. »Ist Lacie bei Ihnen?«
    »Ja.«
    »Dann rufen Sie mich zurück, sobald Sie in London angekommen sind!« Der Bischof trennte die Verbindung.
    Lacie fragte: »Wir fliegen nach London?«
    »Ich fliege nach London«, erwiderte Cato.
    »London?«, wiederholte Lacie. »Und was wird aus dem Jungen?«
    »Das ist vorerst Ihre Angelegenheit.« Er schnaufte. »Vermasseln Sie sie nicht.«
     
     
    Berlin
     
    Die Hitze schwemmte den Schweiß aus den Poren. Sie klebte die klamme Kleidung an den Körper. Das war nicht einmal das Unangenehme. Für Beklemmung sorgte das, was sich in den Lichtkegeln vollzog, den die nervig surrenden Scheinwerfer an die Wand warfen – und auf ein Mädchen.
    Verschüchtert hockte es auf den Dielenbrettern. Angst verzerrte sein Gesicht. Seine schmalen Lippen zitterten. Tränen überschwemmten die Augen, die es gegen das grelle Licht geschlossen hielt. Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Es war sechs oder sieben Jahre alt, nicht viel älter. Es war nackt.
    »Lisa«, sagte eine Stimme. Sie klang freundlich. Unangenehm freundlich. Ein Mann trat herbei und versperrte den Blick auf das Mädchen. Er blieb außerhalb der Lichter, nur ein schwarzer Schemen vor grellem Hintergrund. »Lisa«, wiederholte er. »Weine doch nicht.« Um auf Augenhöhe mit ihr zu sein, ging er in die Hocke. Irgendetwas passte nicht.
    Es dauerte eine Weile, bis Philip begriff, was ihn an der Erscheinung störte. Zwischen den gebeugten Knien baumelten Hoden herab. Die Eichel berührte beinahe den Boden. Auch der Mann war nackt.
    Es gab Dinge, die waren einfach nur schräg. In Berlin begegneten sie einem an jeder Ecke. Doch das, was Philip hier zu sehen bekam, ließ sich mit Kens Soziologie nicht erklären. Es war schlimm. Nein, es war widerlich.
    »Lisa, es ist doch gar nicht so schlimm«, sagte der Mann.
    »Die Kamera läuft«, sagte eine andere Stimme. Philip war nicht sonderlich überrascht, dass sich ein weiterer Mann in dem Zimmer aufhielt. Dieser trat ebenfalls nicht ins Licht. Die Scheinwerfer waren so ausgerichtet, dass nur das Mädchen zu sehen war. Und ein fetter, schmieriger Unterleib mit einem erigierten Etwas. Sein ekelhafter Schatten wurde auf eine weiß getünchte Wand im Hintergrund geworfen. An einer Stelle verhüllte ein grauer Vorhang ein Fenster. Zweckmäßig das Arrangement. Nichts sollte diesen Ort verraten, noch weniger seine Bewohner.
    Das sind keine Amateure, dachte Philip. Die machen das nicht zum ersten Mal.
    Er wollte einschreiten. Aber er konnte sich nicht bewegen. Er schrie den Männern zu, sie sollten damit aufhören, aber kein Ton kam über seine Lippen. Er war nur Betrachter, ein unsichtbarer, stummer Zeuge. Seine eigene Hilflosigkeit machte die Situation noch unerträglicher.
    Der Mann stöhnte. Die kleine Lisa heulte. Philip wollte kotzen. Aber selbst das war nicht möglich. Er versuchte sich abzuwenden. Aber wohin er seinen Kopf auch drehte, seine Äugen blieben auf die grell ausgeleuchtete Szene gerichtet. Selbst als er die Lider vor dem Anblick verschloss, konnte er ihm nicht entfliehen. Es war, als würden die Bilder direkt auf seine Netzhaut gebrannt.
    Lisa brüllte unter den Schmerzen, die der viel zu große Mann ihr zufügte. »Halt doch still«, schimpfte er. Doch sie wehrte sich und schrie. Die Schreie waren wie Nadeln, die in Philips Nervenbahnen gebohrt wurden. Ich muss hier weg, flüsterte eine Stimme in ihm, als wäre er selbst nicht darauf gekommen. Aber sein Körper verweigerte auch diesen Befehl.
    Lisas Augen waren weit aufgerissen und drückten das Unvermögen aus zu begreifen, was mit ihr geschah. Ihre Pupillen begannen zu rollen. Die Schreie gingen
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