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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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auch noch eine Einladung des Heiligen Vaters zur Audienz.
    De Gussa durchquerte den Raum. Hätte Cato ihn dabei beobachtet, hätte er angenommen, der Bischof habe erneut zugenommen. Dabei war es nur das weinrote Zingulum, das sich um seinen Bauch spannte, weil er es enger band, als er es üblicherweise tat. In Momenten des Stresses passierte ihm dies häufiger, und im Augenblick hatte er davon mehr als genug. Er nahm sich vor, heute einige der Arbeiten zu erledigen, und wenn es nur war, um den Anschein zu erwecken, alles würde seinen normalen Gang gehen.
    Seien Sie unbesorgt, hatte Lacie gesagt. Es fiel dem Bischof schwer, seinem Untergebenen Glauben zu schenken. Das mit dem Glauben war für de Gussa in letzter Zeit so eine Sache, vor allem wenn es Lacie betraf.
    De Gussa setzte sich hinter seinen Schreibtisch und knipste die Lampe an. Er entdeckte das Buch, das noch immer aufgeschlagen dort lag. Vielleicht sollte er später versuchen, einige Zeilen zu lesen. Vielleicht konnte er so das sich unerbittlich drehende Rad seiner Gedanken verlangsamen. Dann würde er nicht mehr ständig über das Offizium nachgrübeln müssen und darüber, dass die Freunde uneins waren. Obwohl das nicht ganz richtig war. Sie waren sich durchaus einig, nur nicht in seinem Sinne. Es war der Präfekt der Kongregation, Boris Garnier, dem sie immer häufiger ihr Vertrauen schenkten. De Gussa war mittlerweile fest davon überzeugt: Die Spaltung des Officiums war das erste Anzeichen für die Ereignisse, die sie hatten vermeiden wollen.
    Jetzt war ihnen auch noch der Junge entwischt. Und das, nachdem sie ihn nach so vielen Jahren endlich entdeckt hatten. Der Schock dieser Nachricht saß ihm noch immer in den Gliedern. Das hätte nicht geschehen dürfen. Auf keinen Fall! War es tatsächlich schon zu spät?
    Er schob das Buch beiseite, dann griff er erneut danach und klappte es zu. Nein, er würde keinen ruhigen Gedanken fassen können, nicht heute, nicht morgen. Die Situation war längst aus dem Ruder gelaufen.
    Jemand räusperte sich. De Gussa fuhr auf seinem Stuhl zusammen. Aus dem Schatten am Fenster trat eine Gestalt. Der Bischof brauchte das Licht nicht in ihre Richtung zu drehen, er konnte sich den schwarzen Anzug und das wulstige Narbengesicht sehr gut vorstellen. Lacie kam und ging, wie er wollte. De Gussa überkam das ungute Gefühl, dass er auch darauf längst keinen Einfluss mehr hatte.
    »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass Sie sich nicht wie ein Dieb in mein Zimmer schleichen sollen«, sagte de Gussa.
    »Aber Bischof«, erwiderte Lacie, »habe ich eine andere Wahl?« Er trat in den Lichtkreis der Schreibtischlampe, und die Kerben auf den Wangen verliehen seinem Grinsen etwas Diabolisches.
    »Sie könnten anklopfen«, schlug de Gussa vor. Er fühlte sich müde und hilflos.
    »Dann würde Ihr Sekretär mitbekommen, dass ich hier bin.«
    »Er hat längst Feierabend.«
    »Als ich gekommen bin, war er noch hier.«
    De Gussa blickte zu Lacie auf und fragte sich, wie lange er bereits im Raum wartete. »Sollten Sie sich nicht um den Jungen kümmern?«, fragte er.
    »Keine Angst. Das mache ich«, beschwichtigte Lacie.
    »Und inwieweit hilft es Ihnen dabei weiter, in meinen Gemächern herumzuschleichen? Hier hat er sich nicht versteckt.«
    Lacie hob abwehrend die Hände. »Bischof, ich weiß, wo er ist.«
    »In Berlin, richtig?«
    »Ja.«
    De Gussa schnaubte. »Soweit sind wir seit 19 Jahren. Aber er ist Ihnen wieder entwischt.«
    Zum ersten Mal reagierte Lacie verunsichert. »Sie wissen es?«
    Der Bischof verspürte ein Hochgefühl, aber es verflog, denn das neuerliche Verschwinden des Jungen war ganz sicher kein geeigneter Anlass für Schadenfreude. »Natürlich weiß ich davon. Was glauben Sie, was ich hier den ganzen Tag mache?«
    »Es tut mir Leid.«
    Am liebsten hätte de Gussa ihn geschlagen. Aber es würde nichts bringen. Und er traute es Lacie ohne weiteres zu zurückzuschlagen. »Schon gut.« Er fächerte nachlässig mit der Hand, und der Amethyst in seinem Ring blitzte unter dem Licht der Schreibtischleuchte. »Finden Sie einfach nur den Jungen. Sie wissen, wie wichtig er ist.«
    »Trotzdem brauche ich Anweisungen«, meinte Lacie. »Deswegen bin ich hier. Sie wissen doch, keine Aufträge über Telefon und…«
    »Natürlich, natürlich«, unterbrach ihn de Gussa unwirsch und musste an den Auftrag denken, den er Cato unlängst übers Handy erteilt hatte. Die Situation war so weit fortgeschritten, dass er auf derartige

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