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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Post, die ihr diese Frage nachrief.
    „Nein, nein! Ich muß nur an Bord etwas holen!“ Mit ein paar Sätzen überquerte sie den Dampfersteg, lief in den Gang, die Treppe hinunter, in einen neuen Gang hinein. Ganz hinten stand eine Tür einen Spalt weit offen. Eirin schaute hinein. Eine leere Kabine. Kein Gepäck. Sie huschte hinein und zog die Tür hinter sich zu.
    Jetzt holte sie tief Luft. Sie saß auf dem Rand des Bettes und versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken. Nur nicht denken! Nur nicht denken jetzt! Sieh an, was für ein sonderbares Muster dieser Läufer am Fußboden hat! Ein achteckiges Feld mit braunen Sternzacken rundherum; spitze braune Zacken; sie berühren das Muster, das zum nächsten Feld gehört; Kreuze drinnen in dem Achteck - eins - zwei
    - drei - vier - sieben Musterteile in der einen Richtung; wie viele es in der anderen waren, ließ sich nicht erkennen, weil der Läufer teilweise unter dem Bett lag. Aber das konnte man ausrechnen -Eirin wußte nicht mehr, wie lange sie so gesessen und ihr hämmerndes Gewissen betrogen hatte. Stimmengewirr und Getrappel auf der Treppe ließen sie aufhorchen.
    Suchte man sie schon? Als sie an Bord ging, hatte niemand sie gesehen; die Passagiere waren längst an Land gegangen, die neuen Fahrgäste noch nicht eingetroffen, und das Schiffspersonal war zu beschäftigt, um sie bemerkt zu haben. Auf dem Gang wurde gesprochen. „Nein, wir müssen warten. Es ist Bescheid vom Doktorhaus gekommen. Wir sollen einen Patienten nach Tromsö mitnehmen, ins Krankenhaus.“
    Eirin zuckte zusammen. Der Unfall. Der Mann mit dem gebrochenen Schenkelknochen.
    „Wir können ihn auf Nummer achtzehn legen. Da ist frei.“
    Schritte kamen näher. Eirin hielt den Atem an. Welche Nummer hatte die Kajüte, in der sie sich versteckt hatte?
    Nein. Die Schritte machten kurz vorher halt. Die Tür zur Nachbarkabine wurde aufgestoßen. Gläser klirrten. Kissen wurden geschüttelt.
    Wieder Schritte, langsame, schwerfällige Schritte. Eine Last wurde herbeigetragen und unter vielerlei Anweisungen, Ratschlägen und leisen Kommandos auf das Bett gelegt.
    „So, nun, glaube ich, liegen Sie ganz gut, nicht wahr?“
    Halfdans Stimme! Seine leise, ruhige Arztstimme.
    Eine andere antwortete mühsam, sehr leise, nur wenige Worte.
    „Es trifft sich gut, an Bord ist eine Krankenschwester. Sonst hätten wir Ihnen natürlich eine Begleitung verschafft. Sie sollen mal sehen, es geht prächtig, wenn Sie erst in richtige Behandlung kommen. Ich konnte ja nichts weiter tun, als den Schenkel zu schienen, verstehen Sie? Aber ich denke, das Bein liegt jetzt gut gestützt.“
    Eirin preßte die Hände zusammen, daß sich die Nägel in die Handteller eingruben. Wenn sie nun in den Gang hinausliefe, Halfdan um Verzeihung anflehte? Nein. Es ging nicht. Sie gab es auf. Sie schaffte es doch nicht mehr. Sie fror sich in Frostviken zu Tode, sie würde in Blut und Gestank und Schleim umkommen.
    Fort, fort - nach Süden, in Gegenden, wo sie beheimatet war!
    Wieder Schritte, Halfdans Stimme draußen auf dem Gang:
    „Ich danke Ihnen herzlichst für die Hilfe, Lina Skjarvik. Ich wäre ohne Sie so schnell nicht damit fertig geworden!“
    Richtig! Eirin fiel ein, daß Lina Skjarvik unter den Patienten im Wartezimmer gewesen war. Sie war also eingesprungen, als Eirin versagte. Kein Wunder, die tat sich leicht, denn sie war ja bei dem früheren Arzt im Hause gewesen.
    Als die Schritte sich auf dem Gang entfernten, öffnete Eirin die Tür einen Spalt weit. Sie sah ein Stück von Halfdans Rücken und seinen linken Arm.
    Da preßte sie die Faust gegen den Mund und biß sich in den Knöchel, um nicht laut aufzuschreien. Einige qualvolle Minuten noch - dann lief ein leises Zittern durch das Schiff, die Maschine begann zu stampfen, und der Dampfer machte los.
    Er drehte langsam bei. Dann steigerte er die Fahrt. Die Kolbenschläge wurden schneller.
    Volldampf voraus - nach dem Süden.

9
    Das Kino leerte sich. Ein Strom von lachenden, plaudernden Menschen schob sich auf die Straße hinaus, verteilte sich und wurde bald vom Verkehr verschlungen.
    „So ein Gedränge“, sagte Cilly. Ihr neuer, schicker Winterhut hatte einen unsanften Stoß bekommen und mußte wieder an Ort und Stelle gerückt werden.
    Eirin antwortete nicht. Sie lächelte nur mit halbgeschlossenen Augen. Das Getriebe tat ihr wohl. Sie genoß es, Menschen um sich zu hören und zu fühlen. Sie hatte sich an dem Film entzückt, an der Musik, an dem elektrischen Licht - an

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