Schwester Lise
allem.
„Na? Was möchtest du jetzt?“ fragte Cilly.
„Ausgehen! Und essen! Wollen wir in den Palmengarten gehen? Ich lade dich ein!“
Lachend ließ sich Cilly zum Hotel Britannia schleifen. Schnell hatten sie einen gemütlichen Tisch gefunden - für Cillys Geschmack etwas zu nahe an der Musik; aber Eirin konnten der Lärm und das Treiben nicht groß genug sein.
Ein Glück, daß sie in Tromsö ein Gespräch nach Oslo angemeldet hatte, dachte Eirin immer wieder. Cillys Mutter war am Telefon gewesen.
Nein, Cilly sei vor vierzehn Tagen nach Trondheim gefahren, sie habe da oben eine Stellung angenommen, für ein halbes Jahr als Aushilfe in einem Büro.
„Die Adresse!“ schrie Eirin ins Telefon.
Cilly hatte große Augen gemacht, als Eirin plötzlich vor ihrer Tür stand. Dann hatten sie sich umarmt und gedrückt, die beiden Jugendfreundinnen, und das Mundwerk hatte nicht mehr stillgestanden.
Cilly machte sich schmal, so daß auch Eirin noch Platz auf dem Schlafsofa fand. Bis spät in die Nacht hinein wußte sie zu erzählen. In ihrer Begeisterung, hier oben in Trondheim so unverhofft Gesellschaft gefunden zu haben, ließ sie die Freundin zunächst nicht zu Worte kommen. Eirin war dies nur recht. Was sie bewegte, mochte sie nicht groß und breit berichten. Also ließ sie Cilly von ihrer Zukunft reden. Als diese schließlich doch wissen wollte, weshalb, da antwortete Eirin:
„Sei so lieb und frag nicht, Cilly. Ich habe einen ganzen Haufen Dummheiten gemacht, und ich mußte weg von allem, um mich selbst wiederzufinden. Sagen wir: nervöser Zusammenbruch oder
Polarkreiskoller. “
„Ja“, meinte Cilly verständnisvoll. „Es gibt viele, die durchdrehen bei der Finsternis da oben.“
Mehr wurde darüber nicht gesprochen - zunächst einmal.
Dafür aber redete Cilly um so mehr über sich selbst. Im Herbst war sie ein paarmal im Radio und bei kleinen Veranstaltungen aufgetreten. Sie hatte sich einige hundert Kronen zusammenverdient und nun mit diesem Geld einen ganz bestimmten Plan. Es sollte den Grundstock für einen Studienfonds bilden. Sie sparte und knauserte mit ihrem Gehalt und legte allmonatlich etwas Geld auf die hohe Kante. Denn Cilly hatte einen Wunsch, einen großen, heißen Wunsch: Sie wollte Architektin werden.
„Und dein Singen?“ fragte Eirin.
„Auf das pfeif ich“, rief Cilly. „Viel Stimme habe ich nicht, ich bin nur musikalisch und habe Humor, und deshalb holt man mich gern für kleine Lieder und Kinderlieder. Wenn ich durch meine Singerei noch etwas dazuverdienen kann, dann ist es ja nur günstig, um so größer werden die Aussichten für mein Studium.“
Als Oskar, Cillys Verlobter, als Assistent an das Krankenhaus in Trondheim kam, begab sich das große Wunder: Oskar verschaffte ihr eine Stellung in Trondheim als Sekretärin bei einem Schiffsreeder, der viel verlangte, viel schimpfte, das Personal viele Überstunden machen ließ, aber auch viel zahlte.
Letzteres war für Cilly ausschlaggebend. Jetzt war sie schon vierzehn Tage bei ihm und hatte doch noch keine Träne geweint.
„Leider ist es bloß eine Aushilfsstelle“, erklärte sie. „Ich bleibe nur noch bis Juni oder vielleicht noch bis Juli. Aber ich kann die Hälfte meines Gehaltes sparen! Und im Herbst fange ich mit dem Studium an. Ich hab’ mir ausgerechnet, daß ich dann zweitausendfünfhundert Kronen beisammenhabe. Später suche ich mir kleine Nebenarbeiten oder singe ein bißchen und gebe Kindern Nachhilfestunden. Du weißt ja, ich war im Gymnasium besonders gut in Mathematik.“
Eirin beobachtete Cilly heimlich. Wie froh, wie unbefangen, wie voller Lebensmut und jugendlichem Optimismus sie war! Eirin kam sich dagegen müde, alt und mutlos vor. „Wann willst du heiraten, Cilly?“
„Ach, erst in einem Jahr oder auch in zwei oder drei. Wenn Oskar eine Station bekäme, dann wäre es ja schön - oder wenn er eine Praxis aufmachen könnte; aber er muß sich erst mal bewähren und sicher sein, daß es Leute gibt, die ihm wirklich ihr Leben anvertrauen wollen.“
„Und dann willst du Architektin werden?“
„Ja, warum nicht? Du mußt wissen, ich bin als Sprechstundenhilfe und tüchtige aufopfernde Arztfrau völlig ungeeignet, ich schreie, wenn ich nur einen Tropfen Blut sehe! Ich bewundere Frauen, die mit blutigen Verbänden und Nachtgeschirren hantieren können, die erbrochene Mageninhalte aufwischen und - “ „Gerade diese Dinge sind nicht einmal so ekelhaft“, erklärte Eirin sachlich.
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