Schwester Lise
gerade jetzt blühte ein Pickel auf dem Kinn -Teufel auch!
V-e-r-a! Sportlich war sie sicher auch, wenn sie so mir nichts, dir nichts mit bis nach Norderpollen fuhr. Es war eine lange Fahrt -viele Stunden lang. Nur die beiden an Bord außer dem Steuermann -der stand im Steuerhaus, und bei gutem Wetter saßen Halfdan und Schwester Vera achtern auf der Bank! -Jetzt schien dort oben die Mitternachtssonne, und sie saßen draußen und unterhielten sich. Schwester Vera konnte mitreden, wenn Halfdan über Medizin sprach; sie fürchtete sich nicht vor Blut und Auswurf. Sie konnte verständige Fragen stellen und aufmerksam lauschen, wenn er etwas erklärte.
Der Gedanke an die berückend schönen Sommerabende auf der See, an die Mitternachtssonne und die Vorstellung von der Schönheit und Tüchtigkeit Schwester Veras machten ihr zu schaffen. Es kam hinzu, daß Halfdan sicherlich schwer an der Enttäuschung trug, die sie ihm bereitet hatte, was ihm ja auch nicht zu verdenken war. Schwester Vera konnte ihn vielleicht trösten. Ob sie ihm wohl bei Tisch gegenübersaß - auf Eirins Platz? Ob sie wohl abends gemütlich beisammensaßen, vor dem Ofen - oder war vielleicht schon der Kamin eingebaut worden, von dem sie so oft gesprochen hatten?
Eirin war noch nie auf den Gedanken gekommen, Halfdan könnte eine andere Frau finden. Nie war es ihr eingefallen, sie könnte vielleicht nicht mehr willkommen sein, wenn sie sich plötzlich entschließen sollte, nach Frostviken zurückzukehren. Bis jetzt schien es ihr selbstverständlich, daß sie für Halfdan die einzige sei und bleiben würde.
Auf einmal sah das alles ganz anders aus! Bildete sie sich da nicht zuviel ein? Plötzlich schoß ihr die Sache mit Fred Branstad durch den Kopf! - Durfte sie Halfdan verargen, und würde es nicht begreiflich sein, wenn er in einer Sommernacht unter der Mitternachtssonne auf blanker, stiller See Schwester Vera küßte? Sollte es ihm nicht gestattet sein, einer Stimmung nachzugeben, genau wie ihr?
Eirin wehrte sich gegen die Vorstellung, Halfdan könnte eine andere Frau küssen. Würden seine guten blauen Augen tief in die einer anderen Frau blicken? Würde er es einer anderen gestatten, den Arm um seinen Hals zu legen, sich an seiner Schulter zu verstecken und liebe Worte in sein Ohr zu flüstern? Aber, aber er durfte sie doch nicht im Stich lassen! „Im Stich lassen?“ höhnten ihre Gedanken zurück! Wer von ihnen war es denn, der den anderen zuerst im Stich gelassen hatte?
Eirin bohrte den Kopf in die Kissen, damit Inga sie nicht hörte, denn jetzt kamen die Tränen. Und mit diesen Tränen schwamm der letzte Rest von Vernunft, Selbstbeherrschung und ruhiger Überlegung dahin.
Eirin lag auf dem Bauch im Bett und strampelte gegen den Bettpfosten. Sie biß in das Laken und zischte zwischen den Zähnen verzweifelte Worte in die Kissen:
„Abscheuliche Schwester Vera! Widerwärtiges Frauenzimmer! -Möge sie mitten im Norderpollen ertrinken - dieser Vamp!“
Und mit diesem frommen Wunsch im Herzen fiel Eirin in einen schweren und unruhigen Schlaf.
14
Der Herbststurm rüttelte an den großen alten Bäumen im Park des Krankenhauses. Er heulte um die Hausecken und wirbelte das welke Laub zu einem bunten, wilden Reigen auf.
Eirin fror in ihrem blauen Leinenkleid, obwohl im ganzen Hause eine gleichmäßige Wärme herrschte. Sie kochte sich in der Anrichte einen Kaffee und aß kleine Kuchen dazu, die ihr Ilse in ihrer Freistunde am Tage, als sie selbst schlief, mitgebracht hatte.
Sie war glücklich, endlich gelernt zu haben, auch am Tage zu schlafen. Ihre erste Nachtwache war ihr noch wie ein Alptraum im Gedächtnis. Todmüde, mit schmerzenden Gliedern, so abgespannt, daß ihr übel war, lag sie bei herabgelassenem Vorhang in ihrem Bett und wälzte sich stundenlang hin und her. Wohl nickte sie für ein paar Minuten ein, erwachte wieder, versuchte zu lesen, um dadurch vielleicht einzuschlafen; und wenn es ihr schließlich gelungen war, fuhr sie ein paar Minuten später wieder hoch, von irgendeinem kleinen Geräusch draußen geweckt. Stand sie dann gegen Nachmittag auf, fühlte sie sich am ganzen Körper wie zerschlagen. Wenn es beim Dienst still war auf der Station, dann hätte sie schlafen können, auf einem Hocker sitzend oder auf einem Fensterbrett. Dann dachte sie bei sich: Tausend Kronen würdest du bezahlen, wenn du nur in einem dunklen Zimmer ins Bett gehen und schlafen könntest - schlafen! -
Sie braute sich einen starken Kaffee und trank
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