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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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komme und Frau Lindbergs sanftes Gesicht mich empfängt. Aus ihrer Küche duftet es nach den herrlichsten Dingen.“ Sie hatte ihren freien Nachmittag gehabt und war gerade an dem Tag, als sie das schrieb, bei Frau Lindberg gewesen. Sie brauchte also nicht zu lügen! - Immerhin blieb sie bei ihrer fixen Idee, Tante Bertha und Halfdan dürften nicht erfahren, was sie treibe, nicht eher, als bis sie das Zeugnis in der Tasche hatte als Beweis, daß sie trotz allem konnte, wenn sie wollte. Ihr selbst aber sollte es die Gewißheit geben, daß ihre Liebe zu Halfdan stark genug war, um ihr über alle Mühsal hinwegzuhelfen.
    Übrigens fielen ihr, wie sie sich ehrlich gestand, Überwindung und Strapazen gar nicht mehr so schwer. Und die Liebe zu Halfdan war nicht mehr die einzige Triebfeder, an diesem selbstgewählten Platz etwas Ordentliches zu leisten.
    Sie graulte sich nicht mehr vor dem Dienst. Sie empfand keinen Ekel mehr bei Erbrechen, Blutungen und Becken. Sie hatte sich an die Arbeit gewöhnt und kam sich schon einige Zeit durchaus nicht mehr als Heldin vor. Die Krankenpflege erschien ihr nicht mehr wie ein Opfer. Sie war auf dem besten Wege, sie gern zu mögen! Genau besehen hatte die Sache auch ihre netten, drolligen Seiten, wenn man versuchte, die düstere Brille abzulegen. Auch konnte man sich mit einigen Patienten anfreunden!
    Da waren zum Beispiel die beiden kleinen Mädchen mit der Knochenmarkentzündung, die anderthalb Jahre im Krankenhaus lagen. Die eine hatte einen Rückfall bekommen, war zum vierten Mal operiert worden und mußte wochenlang auf dem Bauch im Bett liegen, da die Operationswunde die Rückenlage unmöglich machte. Sie hatte die ersten Tage über die unbequeme Lage gejammert. Die Bücher und Bilder, die man ihr brachte, lenkten sie wohl ab; aber dann kamen wieder Müdigkeit und Ungeduld über sie.
    Da erinnerte sich Eirin, daß Tante Bertha ihr einmal, als sie als kleines Kind krank lag, ein großes Geduldsspiel gebracht hatte. Eirin trabte in die Stadt und besorgte eins. Die kleine Berti mit der Knochenmarkentzündung war begeistert, als sie ihr das große Brett und die vielen Steine auf das Kissen stellte.
    Nun lag die Kleine auf dem Bauch, mit dem armen kleinen, aufgeschnittenen Hinterteil nach oben, mit gerunzelter Stirn, und mühte sich mit dem Geduldsspiel ab. Es dauerte jedesmal Tage, bis sie es gelöst hatte, denn Eirin hatte das größte und schwierigste besorgt, das sie auftreiben konnte.
    Jetzt war Berti schon so weit, daß sie normal im Bett liegen durfte. Das andere kleine Mädchen, Tilde, konnte aufrecht sitzen, und die beiden unterhielten sich von morgens bis abends. Eirin hatte die beiden in ihr Herz geschlossen. Sie bewiesen eine Disziplin, an der sich viele Erwachsene ein Beispiel nehmen konnten, und sie redeten von Temperatur und Senkung, Narkose und Spinalanästhesie mit der gleichen, selbstverständlichen Miene wie andere Kinder von ihren Rechenaufgaben, von der Tanzstunde oder ihrer Briefmarkensammlung.
    Eirin knapste sich manche Viertelstunde ab, um sich an die Betten der Kinder zu setzen. Hatten sie besondere Wünsche, so wußten sie, daß man sie nur Schwester Lise ins Ohr zu flüstern brauchte. Wenn das Licht um einundzwanzig Uhr ausgemacht wurde, konnte es geschehen, daß ihnen heimlich kleine Näschereien in die Hand gesteckt wurden, und sie drückten eine andere Hand zum Dank. Nicht ein Wort wurde gewechselt, und die beiden kleinen Mädchen verstanden es meisterhaft, so geräuschlos zu essen, daß die anderen Patienten nichts merkten.
    Da war das kleine Fräulein Toresen, die so lange, o wie lange schon im Krankenhaus lag. Sie war fürs Leben verunstaltet, die Ärmste. Bei ihrer Arbeit in der Fabrik war sie von einem Riemen erfaßt worden, und es war kaum noch Leben in ihr, als der Unfallwagen mit ihr zur Klinik raste. Aber, so unfaßlich es war, dem Chefarzt war es gelungen, ihren armen, zerschmetterten Körper wieder zusammenzuflicken. Jetzt war sie außer Lebensgefahr. Aber noch lag sie unbeweglich auf dem Rücken. Sie konnte nur den einen Arm so viel bewegen, daß sie allein essen, die Nase schnauben und lesen konnte. Man hatte ihr einen praktischen kleinen Ständer besorgt, auf dem das Buch lag. Es war so dankbar, das kleine Fräulein Toresen, mit seiner großen, entstellenden Narbe quer über der unteren Gesichtshälfte und dem dicken Verband um den Kopf, denn das Haar war zum großen Teil vom Kopfe weggerissen. Alle waren sie gut zu ihr, und besonders gern

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