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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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wenn er erst erwachsen ist.“
    Tatsächlich, jetzt hatte sie Frau Ervik so weit, daß sie lächelte.
    „So, Frau Ervik, sehen Sie, das ist recht. Wollen Sie den Spiegel ans Bett haben und Ihren Kamm? Sie müssen sich ein bißchen zurechtmachen. Und dann glaube ich, Sie sollten eine Apfelsine essen, hier ist soviel wundervolles Obst für Sie gekommen von Ihrem Mann.“
    „Ach was, er denkt wohl, wenn er Obst und Blumen schickt, dann hat er sein Gewissen entlastet.“
    Eirin schälte eine Apfelsine, die Frau Ervik mit gutem Appetit aß. Und dann mußte sie ihren anderen Pflichten nachgehen. Sie war viel zu lange auf Nummer achtundzwanzig geblieben.
    Es war ein paar Tage später.
    Frau Ervik lag noch immer still und bleich im Bett. Man hatte immer noch nicht herausgefunden, was ihr fehlte. Eirin war täglich viele Male in ihrem Zimmer, schwatzte ein bißchen mit ihr, tröstete sie und hörte ihr zu, wenn sie leise wimmerte und klagte.
    Eines Abends, als Eirin gerade ihren Dienst beenden wollte, klingelte es Sturm auf Nummer achtundzwanzig. Eirin fand Frau Ervik zusammengekrümmt im Bett in einer seltsam verrenkten Haltung.
    „Die Ärztin“, stöhnte sie, „die Ärztin!“
    Eirin machte kehrt, raste in den Flur hinaus und stieß mit Schwester Eldrid zusammen.
    „Ach, Verzeihung - Schwester Eldrid, möchten Sie nicht mal nach Frau Ervik sehen? Sie scheint entsetzliche Krämpfe zu haben. Ich muß Dr. Claussen holen - “ Und weg war sie, bevor noch Schwester Eldrid ein Wort gesagt hatte.
    Frau Dr. Claussen war in ihrer eigenen Wohnung, im Westflügel des Gebäudes. Eirin mußte viele Treppen und lange Flure entlanglaufen, bis sie atemlos vor der Tür der Ärztin stand und klingelte. Ungeduldig trippelte sie von einem Bein auf das andere. Frau Dr. Claussen hatte in ihrer Privatwohnung kein Telefon, damit sie in ihren freien Stunden möglichst ungestört blieb.

„Ach so, es handelt sich um Frau Ervik“, sagte die Ärztin ruhig. „Ja, gut, ich komme sofort.“
    Eirin sauste auf die Station zurück. Bei Frau Ervik stand Schwester Eldrid und sah unbeteiligt auf die Patientin herab, die in konvulsivischen Zuckungen und Krämpfen lag. Etwas Unheimlicheres hatte Eirin kaum je gesehen. „Was sollen wir machen?“ fragte Eirin voller Angst.
    „Sie haben ja getan, was Sie konnten. Sie haben ja Frau Doktor geholt. Also habe ich hier nichts mehr zu sagen“, antwortete Schwester Eldrid ironisch.
    Eirin kochte. Es war schon richtig, was Frau Ervik sagte: Hier ließ man die Patienten sterben vor lauter Disziplin. Sie hätte wohl erst Schwester Eldrid um Erlaubnis fragen müssen, ob sie Dr. Claussen bitten dürfte zu kommen, damit sie gegebenenfalls ein
    Menschenleben rette, wenn es ihr überhaupt gerade paßte, sich außer Dienst zu bemühen.
    Da ging die Tür. Die Frau Doktor kam herein.
    Sofort ging eine sonderbare Veränderung mit Frau Ervik vor sich. Ihr Körper streckte sich ganz aus, im nächsten Augenblick wölbte er sich nach oben, so daß sie in einem Bogen auf Kopf und Fersen stand.
    Marit Claussen blieb ganz ruhig stehen. Sie steckte die Hände in die Taschen und betrachtete interessiert, aber mit teilnahmslosem Gesicht das Phänomen.
    „Das war verdammt gut gemacht“, ließ sie sich schließlich mit eiskalter Stimme vernehmen. „Wie in aller Welt kriegen Sie das fertig?“
    Eirin war nahe daran, ihren Respekt vor dem Arzt und der Krankenhausdisziplin zu vergessen und mit den Fäusten auf Frau Dr. Claussen loszugehen.
    Doch siehe da: Frau Erviks Körper fiel zusammen wie ein Sack, die zusammengekniffenen Augen öffneten sich, und ein tränennasser Blick richtete sich auf die Ärztin.
    „Oh - Frau Doktor -, ich verstehe nicht, was es ist - “
    „Sie brauchen auch nichts zu verstehen. Die Hauptsache ist, daß wir es verstehen. Decken Sie die Patientin zu, Schwester Lise, und lassen Sie sie jetzt in Ruhe.“
    Eirin breitete die Bettdecke über Frau Ervik. Diese lag jetzt ganz still auf dem Rücken, die Tränen kullerten ihr über die Wangen. Dann drehte sie langsam den Kopf zu Frau Dr. Claussen hin.
    „Frau Doktor!“
    „Ja, was gibt es?“ Die Stimme klang hart, teilnahmslos.
    „Warum gehen Sie alle so barsch mit mir um? Ist es ein Verbrechen, wenn es einem schlechtgeht?“
    „Wir gehen niemals barsch mit Patienten um, denen es wirklich schlechtgeht, Frau Ervik!“
    „Ach, Frau Doktor, dann wissen Sie nicht, was hier vorgeht! Alle sind häßlich zu mir. Niemand hat auch nur ein einziges Wort des Trostes

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