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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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für mich, ausgenommen Schwester Lise!“
    Bei diesen Worten reichte Frau Ervik dankbar lächelnd Eirin die Hand.
    „Schwester Lise versteht mich. Sie ist die einzige, die mich versteht. Und sie pflichtet mir bei. Schwester Lise findet auch, daß Sie hart gegen mich sind - ja, mißverstehen Sie mich nicht, Frau
    Doktor, ich weiß wohl, daß Sie eine ausgezeichnete Ärztin sind, aber deshalb brauchen Sie ja noch kein gutes Herz zu haben - das sagte Schwester Lise auch - “
    Eirin war weiß im Gesicht, und ihre Knie schlotterten so, daß sie kaum noch stehen konnte. Das war das Ende! Aus! Erledigt! Binnen fünf Minuten würde sie ihre fristlose Entlassung in der Hand haben. Morgen würde sie bei Frau Lindberg sitzen und heulen und nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollte!
    „Nicht wahr, Schwester Lise? Und Schwester Lise findet auch, daß Dr. Kjeller sich wie ein Straßenjunge benimmt.“
    Das habe ich nie gesagt! wollte Eirin herausschreien; aber ihre Stimme war heiser vor Angst, Tränen und Wut.
    Frau Ervik sprach immer noch leidend, immer noch tränennaß, immer noch sanft vorwurfsvoll, als sie fortfuhr:
    „Na ja, oder so was ähnliches jedenfalls, die Worte weiß ich nicht mehr so genau. Offen gestanden, Frau Doktor, ich finde tatsächlich, die Schwestern nehmen zu wenig Rücksicht auf mich - Schwester Lise findet auch - “
    So - jetzt würde wohl kommen, was sie in ihrer Unüberlegtheit von Schwester Eldrid gesagt hatte. Eirin schwindelte. Da unterbrach Frau Dr. Claussen sie. „Ich bin nicht gekommen, um mir anzuhören, was Sie und Schwester Lise finden. Schwester Eldrid, geben Sie der Patientin zwei Luminal, und sorgen Sie dafür, daß sie Ruhe hat. Schwester Lise, mit Ihnen möchte ich reden!“
    Eirin kannte Frau Dr. Claussen inzwischen gut genug, um den verhaltenen Zorn hinter der kurzen, knappen Anweisung zu spüren.
    Und sie wußte, ihr stand jetzt etwas bevor, das schlimmer war als alle Auftritte mit Schwester Eldrid, schlimmer als das damals, wie sie als Kind in das Schulbüro des Direktors gerufen wurde -schlimmer als alle Demütigungen zusammengenommen, die sie in ihrem ganzen Leben hatte durchmachen müssen. Aber diesmal verdiente sie es, diesmal geschah ihr recht, was auch kommen mochte. Draußen auf dem Flur wandte sich die Ärztin nach ihr um. „Ihr Dienst ist jetzt zu Ende?“
    „Ja - in - in einer Viertelstunde.“
    „Seien Sie so gut und kommen Sie zu mir herüber, wenn Sie hier auf der Station fertig sind.“
    „Sind Sie im Sprechzimmer, Frau Doktor?“
    „Nein, in meiner Privatwohnung.“
    „Ja, gewiß, Frau Doktor!“
    Eirin blieb bleich und zitternd in dem großen Krankenhausflur stehen. Frau Dr. Claussen ging mit festen Schritten über den Gang davon und durch die Pendeltür hinaus. Eirin hörte ihre Schritte in der Ferne verhallen.
    Eirin hob zweimal die Hand, um bei Dr. Claussen zu läuten. Sie zupfte zum zehnten Mal an Schürze und Haube, sie schnaubte sich die Nase, sie wischte die feuchten Hände ab. Dann schloß sie die Augen, biß die Zähne zusammen und klingelte.
    O Himmel, wie die Glocke schrillte.
    Die kleine, blondgelockte Hausgehilfin öffnete. Man schien sie zu erwarten.
    „Bitte, Schwester. Frau Doktor ist im Wohnzimmer, hier diese Tür.“
    Abermals eine kalte weiße Tür. Abermals hieß es, das Herz in beide Hände zu nehmen und anzuklopfen.
    „Herein!“
    Frau Dr. Claussen erhob sich aus einem tiefen Sessel, legte gelassen ein Heft aus der Hand, in dem sie gelesen hatte, und fächelte den Zigarettenrauch fort, der sie umwogte. Sie reichte Eirin die Hand.
    „Na, da sind Sie ja. Setzen Sie sich. Ich kann mir denken, daß Sie von einem langen Tag jetzt müde sind, nicht wahr? Rauchen Sie? Bitte.“
    Die Ärztin schob Eirin ein silbernes Zigarettenkästchen hin und strich selbst das Zündholz für sie an. Eirin nahm in ihrer Verwirrung eine Zigarette - erst als sie ein paar Züge getan hatte, ging ihr auf, daß sie in Tracht dasaß und paffte!
    Frau Dr. Claussen schien ihre Gedanken zu erraten, denn sie lächelte und sagte:
    „Ach was, das tut nichts. Wir sind hier auf privatem Grund und Boden, und da machen wir, was wir wollen.“
    Eirin hatte noch immer kein Wort gesagt. Die Zigarette übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Aber wieso war die Frau Doktor so freundlich und sanft, warum lächelte sie? Wo blieb die erwartete Gardinenpredigt und die fristlose Entlassung?
    „Na, hat die Dame ihre Luminaltabletten gekriegt?“
    „Ich - ich weiß nicht.

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