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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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heruntergefallen!
    Grundgütiger Himmel! Was war jetzt geschehen? Es hatte von allen Zimmern geläutet, und sie hatte geschlafen, ahnungslos und unbekümmert.
    Sie ergriff mit jeder Hand zwei Becken und stürzte davon. Zuerst in den Saal.
    Fräulein Pinnerud lag wach.
    „Haben Sie geläutet, Fräulein Pinnerud?“
    „Geläutet? Nein, hier hat niemand geläutet, nicht daß ich wüßte -
    Eirin ging leise von Bett zu Bett. Alle schliefen, tiefster Frieden ringsum! Eigenartig.
    In eine der Nebenstuben hinein, ein Dreibettzimmer.
    „Wer hat hier geläutet?“
    Ein verschlafenes Gesicht drehte sich zu ihr um.
    „Geläutet? Von uns hat niemand geläutet - “
    In ein Einbettzimmer hinein. Hier lag eine ältere Dame, die wegen ihrer Unfreundlichkeit und wegen ihres anspruchsvollen Wesens auf der Station gefürchtet war.
    Eirin kam gar nicht zu Worte, als die Patientin auch schon begann:
    „Usch, kommen Sie jetzt angerannt, ohne daß ich geläutet habe? Kann man denn in diesem Krankenhaus nicht mal nachts Ruhe haben? - Na ja, wenn Sie schon mal da sind, dann können Sie mein Kissen aufschütteln - ach ja, Sie können mir auch das Becken geben, dann ist das erledigt - “ Jetzt endlich schwante Eirin etwas. Gott weiß, wie lange sie geschlafen hatte. Sie sah auf die Uhr. Und siehe da, es waren erst zwölf Minuten vergangen, seit sie zuletzt nachgesehen hatte. Also konnte sie höchstens fünf oder sechs Minuten geschlafen haben! Und ausgerechnet in diesen wenigen
    Minuten sollten alle Nummernschilder heruntergefallen sein? Nein, hier war was faul!
    Sie trabte mit ihren Becken den Korridor hinunter. Als sie sich der Anrichte näherte, hörte sie ein unterdrücktes Kichern. Sie hielt die Tür fest - ganz recht -, dahinter standen die beiden Sünder, Kjeller und Gard, puterrot im Gesicht vor verhaltenem Lachen.
    Eirin lächelte und drohte ihnen scherzhaft mit der Faust. „Das petze ich!“
    „Nein, Schwester Lise, das tun Sie nicht! Schauen Sie, wir haben herrlichen Kuchen mitgebracht, und wenn Sie nett sind, kriegen Sie einen zu fünfunddreißig Öre. Schokolade mit Nüssen! Ist der Kaffee fertig, Schwester Lise?“
    Gleich darauf saßen sie bei dampfendem Kaffee in lebhafter Unterhaltung beisammen. Ab und zu, wenn die rote Lampe aufleuchtete, mußte Eirin schnell einmal aufspringen. Sie lächelte stillvergnügt: Sind doch im Grunde nette Kerle, diese beiden Lausbuben; nur schwer, sich vorzustellen, daß sie bereits erwachsen und gewissermaßen doch praktische Ärzte sind.
    Als sie nach einem Abstecher in den Spülraum wieder zur Anrichte zurückkehrte, hörte sie Gards Stimme und verhielt den Schritt. Ein Name fiel:
    „Er hieß Hoek. Nein, wir waren nicht gerade befreundet, das kann ich nicht sagen. Aber ich habe ihn gekannt, und er hat mich interessiert. Er war mordsmäßig begabt!“
    „Ach ja, der!“ sagte Kjeller. „Jetzt weiß ich, wen du meinst. Ist der nicht jetzt verheiratet? Ja, ja, er wollte jedenfalls bald heiraten, übrigens soll er eine verdammt hübsche und tüchtige Sprechstundenhilfe da oben haben - hallo, da klingelt das Telefon! Auf später, du!“
    Eirin stand regungslos.
    „Er soll eine verdammt hübsche und tüchtige Sprechstundenhilfe haben - “
    Schwester Vera! Das war es, was sie die ganze Zeit schon gefühlt hatte. Schwester Vera!
    Eirin machte sich im Spülraum zu schaffen. Durch die halbgeöffnete Tür hielt sie Ausschau, und sie ging nicht eher in die Anrichte zurück, bis Gard gegangen war.
    Wieder liefen ihre Gedanken im Kreise herum - eine ewige Mühle. Halfdan und Schwester Vera! Halfdan wird heiraten! Halfdan fühlt sich nicht mehr gebunden! Er glaubt, sie habe ihn aufgegeben. Er deutet ihr Stillschweigen als Gleichgültigkeit. „Er soll eine verdammt hübsche und tüchtige Sprechstundenhilfe haben -
    Wenn Eirin hinter der heruntergelassenen Gardine schlaflos in ihrem Bette lag, wurde ihr klar, daß ihre Zukunftspläne sinnlos waren, daß ihr ganzes Leben zerstört war - übrig blieb nur ihre Arbeit. Sie mußte und wollte jetzt bei der Stange bleiben. Tausend geheimnisvolle Fäden banden sie an das Krankenhaus. Einen anderen Beruf konnte sie sich mittlerweile nicht mehr vorstellen. Hier war ihre Welt! Hier hatte sie Wurzeln gefaßt. Die großen, hellen Korridore, der Geruch nach Arzneien und antiseptischen Mitteln, Patienten, die kamen, Patienten, die abgingen, das Rennen über Treppen und Flure, müder Rücken und wunde Füße - das war nun einmal ihr Dasein, und sie fühlte, daß

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