Schwester Lise
Frühstück!“
„Dafür habe ich mich zu bedanken - für alles überhaupt. Einen schönen Spaziergang wünsche ich Ihnen, Frau Doktor!“
Eirin summte ein Liedchen, während sie den Tisch abräumte und das Geschirr aufwusch. Dann lüftete sie die Zimmer, goß die Blumen
- überlegte einen Augenblick und schaute durch die angelehnte Tür ins Schlafzimmer. Aha! Da lag das Bett noch ungemacht, und der Pyjama trieb sich auf dem Fußboden herum, zu einem Knäuel zusammengewurstelt. Das Badezimmer war überschwemmt und unordentlich, ein nasses Handtuch hing über dem Rand der Wanne. Eine schöne Liederliese, die Frau Doktor! Eirin machte die Entdeckung einen diebischen Spaß, daß die von ihr so hoch verehrte Ärztin hier ganz menschlich herumplanschte, ihren Pyjama zertrampelte und ihre Zigarettenstummel ins Waschbecken feuerte.
Eirin hatte schnelle und geschickte Hände bekommen. Es war für sie eine Augenblickssache, in Schlafzimmer und Bad aufzuräumen, saubere Handtücher hinzulegen und auf dem Toilettentisch und der Kommode Staub zu wischen. Sogar auf dem Nachttisch entdeckte sie einen randvollen Aschenbecher, und auf der Platte war lauter Asche verstreut. Kaum vorzustellen: die strenge, weißgekleidete,
vernünftige Frau Doktor rauchte wie ein Schlot und war unordentlich wie ein ungezogenes Gör!
So, jetzt war es sauber und frisch und behaglich. Sie schaute sich noch einmal um, fand alles in bester Ordnung und verschwand. Jetzt konnte sie mit gutem Gewissen ins Bett gehen und schlafen, bis der Wecker um sechs Uhr klingelte.
Sie lag da und lächelte in die Dunkelheit hinein. Seltsam: Der Gedanke an Frau Dr. Claussen machte es leichter, den brennenden, stechenden Schmerz zu ertragen -
17
„Schwester Lise! Ist Doktor Gard dein Bruder?“
„Nein, keineswegs, Kleinchen, wie kommst du denn darauf?“ „Ach ja, deswegen, weil er dich so gerne hat.“
„Hat er das denn?“
„Ja, nämlich - er macht immer so liebe Augen, wenn er dich ansieht.“
„Macht er denn nicht immer liebe Augen?“
„Nicht, wenn er Schwester Doris ansieht.“
„Du bist ein kleiner Brabbelkopp, Kleinchen. Du mußt deine Milch trinken.“
„Schwester Lise? Hast du Doktor Gard gerne?“
„Aber natürlich. Das versteht sich doch von selbst. Dich hab’ ich auch gern, und alle, die lieb sind.“
„Ja, aber, Schwester Lise - “
„Nein, Kleinchen, jetzt hab’ ich keine Zeit mehr. Gib mir deinen Becher wieder - so. Jetzt machen wir hier schön sauber, bis der Doktor kommt, nun darfst du mich nicht mehr stören.“
„Was für ‘n Doktor kommt denn?“
„Ich denke, der Oberarzt.“
„Igitt“, sagte Kleinchen in einem so beklommenen Ton, daß Eirin lachen mußte. Wo blieben hier Krankenhausdisziplin und der Respekt vor dem Arzt? Die Kleine lag doch schon seit sechs Wochen hier mit einem gebrochenen Bein.
Eirin war gern auf der Kinderstation. Ungern kehrte sie in die Chirurgische zurück. Sie fühlte sich nun einmal in der Medizinischen heimisch. Vor allem vermißte sie Dr. Claussen. Es war nicht etwa so, daß zwischen ihnen eine Art Freundschaft bestand. Dazu war der Abstand gar zu groß. Aber Eirin bewunderte diese starke, nüchterne und herzensgute Marit Claussen und hatte sie gern, und Marit Claussen mochte das hübsche, wohlerzogene und immer gefällige junge Mädchen auch. Diese Schwester Lise hatte etwas rührend Einsames und Halbtrauriges an sich, etwas, das Marit Claussens Beschützerinstinkt wachrief.
Sie sprachen auf der Station nicht viel miteinander, abgesehen von den üblichen Fragen, Antworten und Anweisungen.
Aber wie sie es taten, hätte jedem Menschenkenner sofort gesagt, daß zwischen der tüchtigen Ärztin und der kleinen Lernschwester eine starke Sympathie schwang.
Aber dann war Eirin wieder in die Chirurgie versetzt worden, zur Kinderstation. Mit Kindern hatte sie bisher wenig zu tun gehabt. Doch keine zwei Tage vergingen, da fühlte sie sich auch hier zu Hause.
Als sie das erste Mal ein kleines Kind in den Armen hielt, geschah es, daß das Weinen ihr im Halse hochstieg und die Augen feucht wurden. Sie gedachte der Szene an Bord des Schnelldampfers, als die kleine Eirin Kristine getauft wurde und sie Pate stehen mußte. Und wie hatte sie sich damals darauf gefreut, ein eigenes kleines Bündel im Arm zu halten - ein winzig kleines Menschlein mit Halfdans Augen und mit schwarzen Locken. Jetzt aber - jetzt mußte sie hier herumlaufen und anderer Leute Kinder pflegen! -Schnickschnack!
Eirin
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