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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Vormittag, kurz ehe Fredrik in Tromsö den Dampfer verließ.
    Und jetzt erkannte er sie nicht!
    Eirin begriff selbst nicht, was mit ihr los war, weshalb ihr Herz so klopfte, weshalb es sie drängte, wieder mit Fredrik Branstad zusammenzusein, während sie ihn gleichzeitig verabscheute. Sie ahnte nicht, daß die weibliche Eitelkeit hier ein gewichtiges Wörtchen mitredete und sie sich möglicherweise aufs Glatteis begab. In den Jahren, als sie in harmlosem Vergnügen getanzt und ihren Sport getrieben hatte, als sie ins Theater und Kino gegangen war, da hatte sie treue Freunde und Verehrer. Jetzt mußte sie erleben, daß ein Mann, der ihr nähergetreten war als irgendein anderer und dem sie es
    - sie könnte sich ohrfeigen! - sogar erlaubt hatte - daß dieser Mann sie vergaß - ganz einfach vergaß!
    Die Röte schoß ihr in die Wangen, und sie warf den Kopf zurück. Das wollte sie ihm heimzahlen! Wenn sie es darauf anlegte, konnte sie wohl einen Mann dazu bringen, sich sterblich in sie zu verlieben. Und hatte sie ihn soweit, dann würde sie diejenige sein, die vergaß!
    Oh, sie wird sich morgen schönmachen! Die Herren Kavaliere sollen sich wundern! Morgen wird sie keine verschüchterte, rotnasige Krankenschwester mit einem schreienden Wolldeckenbündel im Arm sein! Sie wird sich Schwester Ninas Pelzumhang leihen, dazu ihr bronzebraunes Kleid, das ihr so gut steht, oder vielleicht das schwarze Samtkleid mit dem Spitzenkragen. Ihre größte Chance aber wird der „große Junge“ sein, der Stoffer Gard, den sie gegen Fredrik ausspielen kann. Gard sah immerhin ganz gut aus, so daß er als Figur in einer kleinen Komödie gut zu gebrauchen war.
    Halfdan? Halfdan konnte ihr gestohlen bleiben. Er hatte sie im Stich gelassen; wollte er ihr verbieten, sich zu amüsieren? Sie würde wahrlich nichts Böses tun; sie wollte nur die beiden Bürschchen ein bißchen zum besten haben. - Ein bißchen? Nein, sie sollten platzen!
    - Schade, um den kleinen Gard tat es ihr ein wenig leid, denn er war wirklich verliebt in sie. Aber das mußte man eben in Kauf nehmen.
    So arbeitete sich Eirin in eine fiebrige Erregung hinein. Sie fühlte nicht mehr, wie wenig dieser Plan ihrer würdig war. Sie merkte nicht, daß sie an sich selbst Verrat übte, an ihrem eigenen, sauberen, fleißigen kleinen Ich.
    Eitelkeit und Gefallsucht hatten von ihr Besitz ergriffen, und sie versuchte nicht einmal, dagegen anzugehen.
    Im Westflügel desselben Gebäudes, aber weit fort von der kleinen Schwester Lise, lag Frau Dr. Claussen und las eine französische Abhandlung über Lungenkrankheiten. Sie zerdrückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher auf dem Nachttisch und griff erneut in die Schachtel, eine altgewohnte Bewegung, die sie ausführte, ohne nachzudenken, ohne hinzuschauen. Ohne die Augen von der Zeitschrift zu wenden, strich sie ein Zündholz an der Reibfläche an, steckte die Zigarette in Brand und löschte das Hölzchen wieder. Gleich darauf ließ sie das Heft sinken. Sie konnte ihre Gedanken nicht sammeln. Sie weilten bei einer Lernschwester, der kleinen Schwester Lise, die einmal an einem Herbstmorgen mit ihr Kaffee getrunken und bei ihr aufgeräumt und saubergemacht hatte. - Merkwürdig, daß das kleine, schwarzhaarige Mädchen ihr so im Kopfe herumspukte. Sie war sicher einsam, die kleine Schwester Lise.
    Ja, sie war einsam. Sie lag in ihrem schmalen weißen Bett und überließ sich ihren dummen, eitlen Gedanken. Sie hätte es gerade nötig gehabt, einmal von Marit Claussens kräftigen Händen tüchtig durchgeschüttelt zu werden.
    Aber Marit Claussen war zu nüchtern und wußte auch zu wenig, um ahnen zu können, daß hier eine verwirrte Menschenseele unbewußt um Hilfe rief. Es fiel ihr nicht ein, daß es seinen Grund haben könnte, wenn Schwester Lise in ihrem Hirne spukte - daß es ein Notschrei war, der sich den Weg in ihr viel zu nüchternes Bewußtsein zu bahnen versuchte.

18
    Eirin lehnte sich in dem gepolsterten Sofa zurück und folgte mit den Augen dem blauen Zigarettenrauch. Sie paffte eine „Philip Morris“, und der Wein, der vor ihr im Glase funkelte, war der teuerste auf der Weinkarte.
    Sie hatten ein üppiges Abendbrot verspeist, hatten Mokka getrunken, und jetzt saßen sie und nippten am Wein. Eirin sprach nicht viel. Stoffer Gard beschränkte sich darauf, Eirin anzustarren. Das schwarze Samtkleid, Schwester Ninas Pelzumhang, Schwester Doris’ Nagellack und Puder, und ein Hauch von Rouge auf den Lippen hatten ihr Werk getan.

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