Schwester Lise
Sack eine Unmenge zierlich verpackter Geschenke hervor und übertraf sich selbst an Witz und geistreichen Andeutungen, während er die Gaben verteilte.
Als Überraschung für Eirin kamen unter anderem ein hoher spanischer Kamm und ein prachtvoller Spitzenschal zum Vorschein.
Fredrik steckte ihr selbst den Kamm ins Haar und half ihr, die Mantilla umzulegen. Dann trat er ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk.
„Wunderbar“, murmelte er, setzte den Plattenspieler in Gang und legte einen echten argentinischen Tango auf. Er streckte die Hände nach Eirin aus und zog sie in die Mitte des Raumes. Aus dem Tanz wurde eine kleine Sondervorstellung; die anderen Gäste bildeten einen Kreis und folgten mit bewundernden Blicken den vielen Figuren des schönen Paares.
Eirin genoß den Tanz mit halbgeschlossenen Augen und klopfendem Herzen. Fredrik tanzte noch besser als damals vor zwei Jahren auf dem Schiff. Offenbar hatte er in Paris und Madrid nicht nur Augenkrankheiten studiert! -
Vor zwei Jahren! - Plötzlich flog es sie wieder an: Heute vor zwei Jahren war der verhängnisvolle Heiligabend in Frostviken. Fast auf die Minute genau vor zwei Jahren war es geschehen, daß Tante Bertha sie geohrfeigt hatte! Vor zwei Jahren um diese Stunde hatte Halfdan den Heiligabend in einem Motorboot auf dem Fjord draußen verbracht - bei Sturm und Schneetreiben.
Eirin fühlte, wie ihre Beine versagten. Ein Schleier schob sich vor ihre Augen. Mit einer unwilligen Bewegung machte sie sich von Fredrik los.
„Lise, was ist denn?“
„Ich kann nicht, ich kann nicht Tango tanzen - nicht heute am Heiligabend - “
Sie flüchtete in die Garderobe hinaus, riß den Kamm aus ihrem Haar und die Mantilla von den Schultern und kühlte sich die Augen. Dann glättete sie ihr Haar und blieb sinnend stehen.
Aus den Räumen erklangen schmachtende Musik und lautes Gelächter und Gerede.
Eirin faltete die Hände:
„Lieber Gott! Mach, daß Halfdan mir erhalten bleibt!“
„Du bist doch eine seltsame kleine Person, Lise“, lächelte Fredrik. „Hast du religiöse Anfechtungen, oder was ist mit dir?“
„Und wenn ich sie hätte?“ entgegnete Eirin, ließ sich in einen der tiefen Lehnsessel plumpsen und streckte die Hand nach einer Zigarette aus.
Fredrik beobachtete sie, ein wenig unsicher, forschend. Dann lachte er:
„Nein, das machst du mir nicht weis, Liselchen! Da muß ein anderer Grund sein.“
Eirin blies den Rauch langsam aus, folgte ihm mit den Blicken und fächelte ihn dann mit der Hand fort.
„In diesem Fall darfst du dann vermuten, daß der Grund ein ganz privater ist.“
Fredrik wurde rot. Er war nicht gewöhnt, einen Verweis zu bekommen. Verlegen starrte er Eirin an. Verflixtes Mädel! Hier ließen ihn seine Erfahrungen im Umgang mit Frauen anscheinend im Stich. Sein hübsches Lächeln und das bewährte Spiel seiner Augen verfingen hier nicht. Da war also eine, die ihm nicht gleich um den Hals flog, wenn er ihr ein paar verliebte Worte ins Ohr geflüstert oder sie beim Tanzen etwas an sich gedrückt hatte! Er hatte sich einen netten, harmlosen Flirt versprochen, einen von vielen Flirts, die er zu genießen pflegte, wie er eine Zigarette genoß: bis sie zu Ende war; dann hieß es nur, den Stummel fortzuwerfen und sich schnell eine neue anzuzünden.
So hatte er sich die Sache ursprünglich gedacht. Inzwischen aber war ihm klargeworden, daß er selbst nicht mehr so recht Herr seiner eigenen Betörungskünste war. Auch seine gewohnte Selbstsicherheit hatte einen Stoß erhalten. Diese Schwester Lise hatte etwas an sich, das ihn dazu veranlaßte, die Augen weit aufzusperren. Es nützte nichts, daß er sich selbst belächelte: Er war schlecht und recht verliebt! Nun ja, das konnte schließlich auch ein Erlebnis sein. Was daraus wurde, würde sich ja noch herausstellen.
Er richtete es geschickt so ein, daß er später am Abend mit Eirin allein in dem kleinen Gemach blieb. Er drückte sie in einen bequemen Sessel hinein, versorgte sie mit Obst, Zigaretten und einem Glase goldenen Tokajers und ließ sich auf einem hohen Kissen zu ihren Füßen nieder.
„Zum Wohle, Liselchen!“
„Zum Wohl!“
Sie stellte das Glas aus der Hand und lehnte sich im Sessel zurück. Fredrik ließ sie nicht aus den Augen. Wie schön war sie mit dem schwarzen Haar und dem schwarzen Kleid vor dem mattgrünen Plüsch des Ohrensessels.
Er lehnte seinen Kopf gegen ihre Knie.
„Lise, kleines Mädchen!“
„Ja, was denn?“
„Du - weißt du
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