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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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mir nicht schlagartig schlecht wird. Der Ekel trifft mich wie ein Keulenschlag. Mir wird nicht direkt schlecht; ich merke nur, wie mir der Schweiß den Rücken hinunterläuft, sich mir die Nackenhaare aufstellen und mir etwas schwindelig wird, weil ich offenbar zu flach atme, als würde ich auf gar keinen Fall wollen, dass all das eklige Zeug in irgendeiner Form in mich hineingerät, egal ob über die Luft oder gar in direktem Kontakt. Der steht mir schließlich noch bevor, weil ich diejenige sein werde, die das gleich aufwischen muss.
    Die Eule kommt um die Ecke und schlägt die Hand vor den Mund. «Himmel!», entfährt es ihr leise. Herr Petersen fängt wieder an, sich zu entschuldigen, und genau wie ich vorhin beschwichtigt ihn die Eule und versichert ihm, dass er nichts dafür könne. Dann nimmt sie ihr Telefon in die Hand und ruft die Chirurgen an. Es sieht tatsächlich doch so aus, als wäre eine Not- OP vonnöten. Ich vermisse den Giftzwerg, aber die ist bei Herrn Recker beschäftigt. Sie wäre jetzt genau richtig hier, obwohl der Anblick eine Zumutung für alle ist.
    Wie ein Engel erscheint plötzlich der Kollege aus der Schichtleitung, der die ganze Zeit im Dienstzimmer Papierkram erledigt hat. Er hat den Putzwagen dabei, ein Riesengefährt, bestückt mit einer Plastikwanne, in der desinfizierende Putzlauge herumschwappt, sowie Wischmopps und Lappen. Wortlos bindet er sich eine Plastikschürze um und fängt an, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres, die riesige Blutmenge aufzuwischen. Das ist alles andere als einfach, denn die Blutklumpen flutschen aus den Papiertüchern heraus wie Egel. Man muss dicht heranrücken, weil man den ganzen See sonst niemals aufgewischt bekommt, und es stinkt wirklich fies. Wir verbrauchen Unmengen an saugstarken Papiertüchern, bis die gröbsten Spuren beseitigt sind. Mittlerweile trage auch ich so eine knisternde Schürze, habe zwei Paar Gummihandschuhe übereinandergezogen und wische wie in Trance den Sichtschutz sauber. Der Engel aus der Schichtleitung meint, dass ich ruhig schon mal mit dem Bettzeug anfangen soll, denn er scheint zu merken, dass mir gar nicht wohl ist. Und offenbar ekelt er sich nicht die Bohne. Faszinierend!
    Ich helfe Herrn Petersen aus seinem bekleckerten Hemd und streife ihm ein frisches über, als er «Ich glaube, da kommt noch mehr!» ächzt und prompt dicke Backen hat. Ich fliege durch das Zimmer, direkt zu dem Stapel nierenförmiger Pappschalen, die für alles geschaffen wurden, was Menschen so ausspucken könnten. Alles passiert wahnsinnig schnell, und dann kommt auch schon, blubb!, die nächste Ladung. Allerdings ist es diesmal nicht mehr so viel, aber genauso widerlich. Herr Petersen guckt kurz zur Seite, als müsse er sich kurz von dem Anblick erholen, den der Inhalt in der Schale bietet. Dann guckt er mich an und sagt: «Ich hab noch nie so was Ekliges gesehen!»
    Ich gucke erst in die Schale, dann auf Herrn Petersen, und mir rutscht ein «Ich auch nicht» heraus – und ich finde es sofort gemein. Aber dann sehe ich, dass mein Patient anfängt zu lachen. Ab jetzt, so scheint es, sind wir so etwas wie Leidensgenossen. Wir haben beide noch nie etwas vergleichbar Unappetitliches erlebt, und es ist eine wahre Wohltat, gemeinsam darüber zu lachen. Allerdings bewundere ich ihn gleichzeitig auch über alle Maßen für seine Leidensleistung. Ich nehme die Schale mit dem Blut, stelle sie auf den Waschbeckenrand und lege ein Papiertuch darüber, damit die Chirurgin, die gleich kommt, sich von der Dringlichkeit ihres Erscheinens überzeugen kann. «Möchten Sie sich vielleicht die Zähne putzen?», frage ich den leidgeprüften Mann, der sofort nickt und zwar deutlich geschwächt, aber dennoch energisch versucht, jede kleinste Erythrozyte [2] mit der Einwegzahnbürste auf ewig aus seinem Mundraum zu entfernen. Danach lehnt er sich in sein frisch bezogenes Kissen und atmet geräuschvoll aus. Er tut mir einfach leid, und ich möchte ihm gern noch etwas Gutes tun. «Möchten Sie vielleicht einen kühlen Lappen auf die Stirn haben?», frage ich ihn, und er lächelt mich an. «Oh ja, das wäre schön.»
    Als ich mit dem frischen Waschlappen in das Zimmer zurückkehre, kommt auch schon die Chirurgin um die Ecke. Ich zaubere das Papiertuch von der Schale, und schon winkt sie etwas angewidert ab. «Danke, das reicht!» Die Chirurgin erklärt Herrn Petersen, dass das erbrochene Blut alt und geronnen war und somit vorerst kein Handlungsbedarf besteht. Herr

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