Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
Vom Netzwerk:
bringen», eine Formulierung, die auch Bachblütendamen in grünen Samtkleidern gefällt … Das Problem besteht nun darin, die Frau auf den Bauch zu drehen, ohne sie dabei komplett in Schläuche und Kabel einzuwickeln. Vorsichtig beginnen wir, und zunächst scheint alles gutzugehen. Bis die «Niere» piept. «Oh nein, was jetzt?», schnauft die Bohnenstange genervt, aber das Problem ist offensichtlich, ein Schlauch ist abgeknickt. Als der Knick entfernt wird, ist die Misere überstanden. So einfach kann es sein. Ein schwacher Trost für mich, da es aus dem Zimmer von Herrn Koller bereits wieder piept. Schäumend komme ich um die Ecke – die Kiste steht. Ich atme tief durch und versuche abermals herauszufinden, weshalb. Abgeknickt ist nichts. Echte Verzweiflung und Wut steigen in mir auf – man benutzt diese Geräte doch, damit sie einem Arbeit abnehmen!
    Mein Blick fällt auf die Wiese vor der Klinik – Besucher sitzen auf Decken im Gras und trinken Kaffee, Kinder toben ausgelassen mit einem Ball um die großen alten Bäume. Auf dem Teich schwimmen Enten herum, malerisch wiegt sich Schilf im Wind. Aus dem Dickicht stakst ein Fischreiher hervor, auch ein Austernfischer lässt sich gelegentlich blicken. Ein Naturidyll; man möchte ins Schwärmen geraten. Jetzt bekommt die Natur auch mal etwas von mir zurück, es ist ein stetes Geben und Nehmen, und ich habe mir schon so oft vorgestellt, wie schön das wäre.
    Ich ziehe den Netzstecker der «Niere» heraus und nehme das ganze Ding, mit Schläuchen, mit der Filterkartusche und den dicken Wassersäcken aus dem Patientenzimmer heraus, um das ahnungslose Opfer durch den langen Flur zu fahren, vorbei an den Arbeitsplätzen und den fragend guckenden Kollegen. Mit den Worten «Ich bin gleich wieder da!» geht es weiter bis zum Hinterausgang. Ab hier wird es etwas unwegsam, und ich muss gut aufpassen. Die Aktion ist nicht unbedingt ein Fahrvergnügen, aber Rache ist Blutwurst, also da muss ich jetzt durch. Das mit wildwachsenden Grasbüscheln durchzogene Kopfsteinpflaster macht die Fahrt zu einem ganz besonderen Erlebnis. Ich muss mich sehr konzentrieren, weil sonst die «Niere» wieder das Kommando übernimmt – und genau dafür will ich mich ja rächen. Wir geraten durch einen kleinen Kieselstein in eine beunruhigende Schieflage, und der ganze Krempel droht umzukippen. Mehr schlecht als recht rumple ich weiter bis zum Teich und erhöhe damit den Schwierigkeitsgrad: die Wiese. Mit seinem bemitleidenswert kleinen Fahrwerk droht das Filtrationsgerät im saftigen Grün zu versinken; ich hinterlasse tiefe Furchen im Rasen und fange an zu schwitzen. Hinter mir höre ich Kollegen rufen: «Was machst du denn da?!» Sie gucken fragend, aber ich bin die Ruhe selbst, drehe mich kurz um und winke ab. «Ich komme gleich wieder!» Mit letzter Kraft schiebe ich das unselige Gerät durchs Schilf, ich rutsche und meine Schuhe sind schon bis zu den Fersen im Matsch versunken. Unter den interessierten Blicken der Menschen am Teich frage ich mich, wer zuerst fällt, die Maschine oder ich. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, lasse nur widerwillig die Kiste los – und dann ist es endlich so weit: Platschend fällt der Hämofilter in den Tümpel, die Enten flattern verschreckt auf, und aus den beiden Kinderwagen, die samt ihren Müttern neben der Bank am Teich stehen, hört man lautes Gebrüll. Eine Super-Inszenierung, sogar mit Klageweibern, großartig! Mit lautem Geblubber und Geglucker sinkt das Gerät immer tiefer in das Gewässer, und ich stehe am Ufer. Ein tief empfundenes Gefühl der Befriedigung und des Stolzes, es so weit geschafft zu haben, macht sich in mir breit, und als ich mir gerade eine Träne der Rührung aus dem Augenwinkel wische, stoppt der Absinkprozess jählings. Der Teich ist doch nicht so tief, wie ich angenommen hatte. Schwerfällig legt sich der Apparat auf die Seite, und etwa ein Viertel guckt mahnend aus der Wasseroberfläche heraus. Wenn das rauskommt! Aber woher soll ich wissen, dass es sich hierbei nur um einen miesen Tümpel handelt?
    Hier endet regelmäßig der Traum von der großen Rache, und nur deshalb habe ich diese Aktion noch nicht durchgeführt: Weil ich nicht weiß, wie tief der Teich wirklich ist. Allerdings bin ich mir sicher, wenn meine Hemmschwelle – und auch die der anderen – niedriger und der Teich gesichert tief genug wäre, dann läge die ganze schöne Apparatemedizin darin, mitten in diesem Idyll aus Flora und Fauna,

Weitere Kostenlose Bücher