Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
ungesehen, unentdeckt, aber den Wasserspiegel unmerklich steigen lassend.
Infusionspumpen lägen dort auf dem Grund, die einem mit piependem Signalton dreist ins Gesicht lügen und behaupten, in ihrer Leitung befände sich Luft – Primadonnen, die sich langweilen und nur unsere Aufmerksamkeit suchen, weil kein winziges Luftbläschen zu erkennen ist.
Dazu würde sich auch die eine oder andere Spritzenpumpe gesellen, die mitten im Betrieb stehenbleibt, bevorzugt bei Medikamenten, die bei jeder noch so kleinen Unterbrechung der Kontinuität einen veritablen Kreislaufzusammenbruch bei den Patienten hervorrufen. In Windeseile muss man ein Ersatzgerät heranschaffen, weil dieses Gerät partout nicht mehr mitspielen will. Das ist mehr als Gehirnjogging, das ist hartes Intervalltraining.
Die rumpelnde intraaortale Ballonpumpe, die manchmal behauptet, sie hätte einen Knick im Schlauch, gehört auch ertränkt, denn auch sie bleibt dann einfach stehen. Und natürlich hat auch sie einen fürchterlich eindringlichen Alarmton, mit der sie auf diese Fehleinschätzung hinweist. Genauso wie Kollegin «Niere» hat sie kleine Rädchen, ist allerdings aufgrund ihrer geringen Größe wesentlich handlicher. Der Hämofilter ist somit die Königsdisziplin des Geräteversenkens, wenn man die Herz-Lungen-Maschine mal außen vor lässt. Aber die thront arrogant im Herz- OP . Ich werde die Kollegen beizeiten mal fragen, ob sie nicht mal beim Schiffeversenken mitspielen wollen.
Stets zu beklagen ist auch eine rätselhaft schlechte Ableitung des EKG : Von einer Sekunde auf die andere sieht man nicht mehr die EKG -Kurve auf dem Monitor, sondern ein völlig wirres Gezackel. Also probiert man sämtliche Ableitungsmöglichkeiten aus, und siehe da: dasselbe wirre Bildnis! Man guckt nach, ob sich die Klebeelektroden vom Oberkörper des Patienten abgelöst haben, und klebt vorsichtshalber nagelneue auf, obwohl die alten alle noch fest auf der Haut sitzen. Man entfernt den Kontaktstecker zum Monitor und fügt ihn wieder zusammen, und nicht immer hat man auch damit Glück.
Die Krönung aber ist der überraschende Totalausfall eines Monitors; dann ist der Bildschirm schwarz und der Zustand des Patienten unklar. Es dauert, bis der Monitor wieder angeht und sich durchgecheckt hat, und weil alle gestresst sind, kommt einem diese Minute vor wie eine halbe Ewigkeit.
Man könnte wohl die halbe Intensivstation in den Teich schmeißen, einschließlich der Telefone und der höhenverstellbaren Betten, deren Elektronik ab und an den Geist aufgibt und die Arbeit zusätzlich erschwert. Oder das kleine Kofferradio, das man für den Patienten organisiert hat, damit er die Bundesliga hören kann, und aus dem nichts anderes als die fauchenden Fürze atmosphärischer Störungen erklingen. In der Zeit, die man braucht, um den Sender zu finden, hätte man mindestens zwei Hämofilter aufbauen oder einen Patienten komplett waschen, pflegen und betten können. Erfindungsreichtum ist hier genauso angebracht wie geschulter Sachverstand, und als Antennenersatz für Radios dienen regelmäßig auseinandergebogene Büroklammern oder die Zinken einer Gabel. So bastelt man ganz nebenbei hübsche moderne Skulpturen zusammen – «intensive care contemporary» wäre ein Impuls für die nächste documenta.
Zumeist handelt es sich auf der Intensivstation um Geräte, deren höchst diffiziles Innenleben von einem Knäuel zusammengelöteter Software bestimmt wird und wo eine schnelle Reparatur nur von einem Medizintechniker durchgeführt werden kann, und der ist natürlich am Wochenende oder nachts nicht zugegen. Anders als bei einem platten Fahrradreifen, den man ertasten kann, weisen die Geräte auf eine Funktionsstörung in der Regel durch kryptisch wirkende Codes hin.
Auch die vermaledeite «Niere» hat einen solchen Code. Er besteht aus einem Buchstaben und einer zweistelligen Zahl. Jetzt hole ich mir doch lieber mal das Handbuch hinzu. Professionalität zeichnet sich schließlich auch dadurch aus, dass man weiß, wo man nachgucken oder fragen kann. Ich schlage den Code nach und kann ihn nicht finden! Das ist der Gipfel. Ich blättere das Heft von vorne bis hinten durch, ich frage die Bohnenstange, doch auch er sucht vergeblich, ebenso bestätigt der Giftzwerg, dass es den Code nicht gibt. Meine leise Ahnung wird von ihr eindeutig untermauert. «Die ist wohl im Eimer!»
Ich bin Fachkrankenschwester für Intensivpflege, keine Medizintechnikerin mit abgeschlossenem
Weitere Kostenlose Bücher