Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
immer hübsch, lieb, umsichtig, hilfsbereit und dienstbeflissen – oder ein korpulenter, herrischer Drachen. Sie steht dem schnieken Stationsarzt, der gut aussehenden Stationsärztin und dem großkotzigen Oberarzt beziehungsweise der sich aufopfernden Oberärztin zur Seite, die ihr nicht vorhandenes Privatleben in der Klinik verbringt und sich dafür von der Jungärzteschaft belächeln oder dumm anbaggern lassen muss. Manchmal verliert sie auch in den Armen genau dieser Heißsporne die Fassung. Das Gesamtbild wird vom väterlich-jovialen Chefarzt abgerundet, der streng, aber fair ist und den gütigen König verkörpert. Und niemand hat zerknitterte Kittel an; alle kommen sie frisch gebügelt daher.
Ich staune oft nicht schlecht, was mir und den schaulustigen Fans trivialer Inszenierungen geboten wird. Nehmen wir beispielsweise einmal
Dr.House
: Der eigentliche Reiz dieser Serie liegt für mich darin, neben der ausgesprochenen Fiesheit dieses Mannes, mit überaus seltenen Erkrankungen konfrontiert zu werden. Für erfahrene Mediziner und Krankenschwestern und -pfleger ist es eine interessante Möglichkeit, von gewohnten Denkpfaden abzubiegen und einmal ganz experimentell über den morastigen Diagnose-Acker zu rumpeln, um auf diesen Umwegen zu ganz neuen Ergebnissen zu kommen. Infolgedessen sind mittlerweile sogar einige Universitäten dazu übergegangen, den Studierenden anhand einiger
Dr.-House
-Folgen die Tücken der Differentialdiagnostik näherzubringen. Allerdings sind die Referenten in der Regel wohl wesentlich besserer Stimmung. Fast alle treten irgendwann auf der Stelle und staunen Bauklötze, wenn sich im Verlauf der Vorlesung herausstellt, dass die Patientin mit den epileptischen Anfällen keinen Tumor hat, sondern einen simplen Schweinebandwurm im Gehirn, dem man ganz einfach mit einem Entwurmungsmittel den Garaus machen kann. Es ist insofern sehr bedauerlich, dass der Giftzwerg und ich nur das adrette Vorabendprogramm genießen können, denn die wirklich interessanten Dinge kommen erst nach zweiundzwanzig Uhr. Und da liegt hin und wieder zumindest der Giftzwerg bereits im Bett und schläft.
Und ich kann mich nicht an Würmer in irgendwelchen Köpfen erinnern, obwohl ich bei manchen Menschen ziemlich sicher bin, dass sie welche anstelle des Gehirns haben. Woran ich mich aber erinnere, ist eine Patientin, der im Hochsommer plötzlich Maden aus dem linken Nasenloch krochen. Kurz dachte ich noch: «Wo kommt denn der Reis her?», und dann bewegte sich der Reis.
Dr.House ist chronisch schlecht gelaunt, misstrauisch und zynisch, seine Vorgehensweisen sind entweder dreist, halsbrecherisch oder beides. Dank seiner Ideen, Kenntnisse, einer gewissen Hemmungslosigkeit und Bockbeinigkeit in der Behandlungsmethodik erweisen sich seine gewagten Diagnosen oft als richtig. Er setzt stur die eine Behandlungsform durch, von der der Patient kurzzeitig profitiert, bis es zu einer dramatischen Krise kommt. Dieses Spektakel kennen der Giftzwerg und ich gar zu gut aus unserem Berufsalltag, allerdings bleiben die Krisen eher aus, weil sich der Zustand eines Patienten plötzlich ganz einfach erklären lässt. Hochnäsig wird dann vorerst von oberärztlicher Seite versucht, in eine Richtung zu therapieren, und später kommen der Vollbart oder Frau Anzug und schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.
Der Giftzwerg hatte einmal eine alte Frau von der Normalstation übernommen, die seit einer Stunde «so komisch» und nicht ansprechbar sei. Der «Arbeitstitel» lautete Schlaganfall, die Kollegen in der Computertomografie seien schon informiert. Der Giftzwerg bereitete alles für den Transport vor und kontrollierte dann einfach mal den Blutzucker. Und der war mit 30 mg/dl viel zu niedrig, der Normwert liegt bei 80–120 mg/dl. Vermutlich hatte die Patientin ihre Diabetes-Tabletten bekommen und niemand registrierte, dass sie aber nichts gegessen hatte. Daraufhin sagte der Vollbart die Computertomografie ab, infundierte der alten Frau Glukose, und nach etwa einer halben Stunde war sie wieder ansprechbar und auch gar nicht mehr «komisch». Sie hätte sogar verlegt werden können, aber der Giftzwerg war der Ansicht, dass man die Dame nicht einfach nach Belieben mal hier-, mal dahin legen könne und so womöglich einen veritablen Verwirrtheitszustand auslöst. Und so konnte die Patientin nach der ganzen Aufregung erst einmal in Ruhe schlafen.
Die dramatischen Zuspitzungen bei einer Serie vom Schlage
Dr.House
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