Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Elektrotechnikstudium, und gebe mich geschlagen. Als ich gerade wieder alles abbaue, kommt die Eule ins Zimmer. «Oh, du Arme!», sagt sie, und das tut richtig gut. «Möchtest du einen Kaffee?», fragt sie dann, und das ist noch viel besser. Ich nicke, ja, ein Kaffee wäre prima, damit wenigstens ich pinkeln kann! Während die Eule mir in der Stationsküche einen Kaffee am intakten Automaten zieht, karre ich die «Niere» zur Organ-Tonne, um die blutigen Schläuche zu entsorgen, fahre sie anschließend in den Reparaturraum beim Medizintechniker und schreibe auf den Reparaturschein in der Spalte Fehlerursache «Angabe dubioser Gründe mittels im Handbuch unauffindbarer Codierung» und lasse das dämliche Gerät alleine.
Ich lenke mich von meinem Leid mit einem formidablen Verbandwechsel bei meinem Patienten ab, entferne mit Blut und seröser Flüssigkeit durchtränkte Mullschichten, die um die Drainagebeutel gewunden sind, ich lege einen richtig schönen und sauberen neuen Verband an, rasiere Herrn Koller sorgfältig und kämme seine Haare. Zu guter Letzt kommt die Bohnenstange mir zu Hilfe, und wir drehen und wenden den Mann und spannen ein neues und sauberes Bettlaken ein. Er duftet nach seinem After Shave. Und es tut mir leid, dass ich alles in einer solchen Hektik erledigen musste, nur weil ich den ganzen Tag Gerätewart spielen musste.
Als ich das Krankenzimmer verlasse, erwartet mich inmitten der Laborzettel und Kurvenblätter eine Tasse Kaffee. Und eine neue «Niere». Das Gerede über «Spülen» und «harnpflichtige Substanzen» drückt mir auf die Blase, aber erst baue ich das neue Gerät zusammen, denn ich bin fest entschlossen, mich nicht mehr aus der Ruhe bringen zu lassen. Pfeifend lege ich zum dritten Mal in dieser Schicht die Schläuche ein und bin total gespannt, wie es weitergeht. Als der Durchspülvorgang abgeschlossen ist, gondeln die neue «Niere» und ich einträchtig ins Patientenzimmer. Wird es diesmal klappen? Katheter überprüfen, Anschließen des Gerätes, alles eingeben und auf «Start» drücken – ich genieße jede einzelne Handlung, um die Enttäuschung umso intensiver erleben zu können. Die Rollerpumpen setzen sich geräuschlos in Betrieb, das Blut läuft aus dem Katheter in den Filter, aus dem Filter läuft das Filtrat, das Blut läuft in den Patienten zurück und die Kiste macht nicht einen Mucks. Sie läuft und läuft wie ein Uhrwerk. Der Blutdruck von Herrn Koller bleibt stabil; friedlich liegt er in seinem Bett im narkotischen Tiefschlaf. Ich setze mich auf einen Hocker und gucke mir mein Werk an: Apparatemedizin kann so herrlich sein! Es ist traumhaft, wenn die Geräte funktionieren und auf Monitoren Zahlen erscheinen, die einem den Krankheitsverlauf der Patienten eindeutig numerisch dokumentieren.
Als ich das Zimmer verlasse, um endlich meine volle Blase zu leeren, kommt mir auf dem Flur die Bohnenstange entgegen und schiebt grummelnd die «Niere» seiner Patientin über den Flur. «Filter dicht!»
Ich kann nichts dagegen tun: Mit einem Gefühl der Genugtuung gehe ich endlich pinkeln.
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Schwester!
Der Giftzwerg und ich sitzen im Pausenraum, packen unsere Brote aus und haben den Fernseher angemacht. Wie es sich für ein seichtes Vorabendprogramm gehört, wird eine Krankenhausserie geboten, und als ich gerade umschalten will, quakt der Giftzwerg mit vollem Mund: «Nee, lass das mal an, da können wir noch was bei lernen!» Ich ziehe skeptisch eine Augenbraue hoch – was will sie denn dabei lernen? Wir sehen zwei nett lächelnde Krankenschwestern, adrett, hygienisch und keimfrei in weiße Schwesternkleidchen gehüllt über einen Flur gehen, auf dem ihnen ein nett lächelnder und ebenso adretter Arzt entgegenkommt. «Guck mal, wie das da glänzt und wie sauber und glatt die Klamotten sind!», ereifert sich der Giftzwerg und klopft sich energisch Krümel und Sesam von ihrem zerknitterten Kittel. Das ist schon die erste Lektion: Alles ist blitzsauber. In Krankenhausserien ist es entweder perfekt aufgeräumt, oder es sieht aus wie im Schlachthof. Wie fast alle Menschen gucken wir uns diese Serie an, weil wir mit reichlich Klischees bedient werden wollen, wobei unser Blick darauf natürlich anders aussieht als der von interessierten Laien. Der Laie begnügt sich mit den gesundheitlichen Dramen, einer Prise Sex oder einem kleinen, plumpen Flirt, und meistens wird ihm ein Happy End geboten, das genauso bequem wie die Couch ist. Die Krankenschwester ist
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