Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
gearbeitet, die der normale Bürger versteht, denn unter «kreislaufstabilisierenden Medikamenten» kann man sich vorstellen, was man von diesem Präparat erwarten kann. Genauso verhält es sich mit meinem Lieblingsbegriff: dem künstlichen Koma. Ob in der Zeitung oder in den Nachrichten, immer ist vom künstlichen Koma die Rede, was als dramaturgisches Element natürlich noch eine Extraportion Bestürzung garantiert. In der Tat ist ein Koma sehr bestürzend, denn es bedeutet eine empfindliche Störung oder gar den Ausfall der Großhirnrindenfunktion, und dafür gibt es viele Ursachen. Wir reden von einer «Narkose» und nicht vom «Koma», denn wenn ein Mensch nach einer Narkose ins Koma fällt, ist etwas deutlich schiefgegangen.
Das künstliche Koma ist jedoch fester Bestandteil der Serien. Ein Patient muss intubiert und beatmet werden, und vorher steht das Ärzteteam vor dem Bett des Patienten und entscheidet: «Wir müssen ihn in ein künstliches Koma legen.»
Die Angehörigen unserer Patienten fragen regelmäßig nach dem «künstlichen Koma», denn sie bekommen es ständig in der Presse oder im Fernsehen serviert und haben oft das diffuse Gefühl, dass «Koma» nicht ganz passend sein könnte.
«Wacht er denn aus dem künstlichen Koma irgendwann wieder auf?», fragt mich eine verängstigte Ehefrau, und es kostet eine Menge Zeit und Überzeugungskraft, die verzweifelte Frau zu beruhigen, dass ihr Ehemann nicht im Koma liege, sondern eine Narkose bekommt, die wir dergestalt steuern können, dass er zum passenden Zeitpunkt wieder aufwacht, wenn alles gutgeht.
Wo bei
Dr.House
mit eher unkonventioneller Methodik die Therapieentscheidung herbeigeführt wird, ist man bei den deutschen Serien noch bei der althergebrachten Praxis und zumindest meistens gesetzestreu, denn auf das bewährte Eindringen in Patientenwohnungen, wie es bei
Dr.House
praktiziert wird, wird hier verzichtet. Der unbescholtene Bürger möchte sein Privateigentum durchaus gesichert wissen und, bei allem Vertrauensvorschuss, die Ärzte nicht ungebeten zur Keimsanierung oder Giftstofferforschung in seiner Schrankwand zu Gast haben.
Anders verhält es sich bei der Krankenschwester. Schwester Stefanie war beispiellos in ihrer altruistischen Haltung und hatte laut Drehbuch gar kein Problem damit, nach Dienstschluss noch in den Häusern oder Wohnungen ihrer Patienten nach dem Rechten zu sehen, die Blumen zu gießen und das eine oder andere Haustier zu versorgen. Auch ich bin tatsächlich mal von einer älteren Dame gefragt worden, ob das eigentlich wahr wäre, dass wir uns auch bei den Patienten zu Hause um alles kümmerten, sie hätte das bei
Schwester Stefanie
gesehen und wäre etwas erstaunt gewesen. Immerhin hat sie gestaunt!
Mir gefällt die Idee irgendwie, nach der Arbeit noch die Behausungen der Patienten abzuklappern und sich im Umfeld ein bisschen einzumischen. Wobei ich als Radfahrerin dankbar wäre, wenn man mich nach dem Spätdienst nicht zwanzig Kilometer in den Landkreis schicken würde, sondern von mir aus an die Stadtgrenze. Man könnte beispielsweise die Tiefkühltruhe abtauen und uraltes Gefriergut dem Müll zuführen, bevor sich jemand nach der Krankenhausentlassung eine Lebensmittelvergiftung zuzieht. Wer weiß, ob da nicht noch gewildertes Wild aufzufinden ist, das der Nachbar mit seiner Schützenvereinsknarre im Wald abgeballert hat. Vor den ersten Herbststürmen könnte man nachgucken, ob die Dachziegel alle noch fest sitzen, wenn man nun schon mal da ist, und einen Grundstein für eine sinnvolle Gesundheitserziehung legen, indem man gegebenenfalls die eine oder andere Behörde informiert. In der Krankenpflege ist es sinnvoll, ein Allrounder zu sein; hier warten eine weitere Menge anspruchsvoller Aufgaben.
Schwester Stefanie ist ein Tausendsassa: Noch vor wenigen Minuten mit gramzerfurchter Stirn auf der Intensivstation, befindet sich die Protagonistin plötzlich im Klinik-Café und trinkt dort schnell einen Kaffee mit einem gut aussehenden und bestens gelaunten Oberarzt – das allein ist schon mal völlig unrealistisch. Oberärzte oder Oberärztinnen bekommen die Stelle nicht, weil sie ein Casting («Wenn du aussiehst wie Sascha Hehn und wirklich etwas auf dem Kasten hast, dann ist das deine Chance!») gewonnen haben, sondern weil sie über Fachwissen verfügen, engagiert sind oder ganz einfach effizient herumgeschleimt und so lange schicksalsergeben mit dem Kopf genickt haben, bis es endlich geklappt hat. Spätestens nach
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