Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
hinbringen. Was haben wir denn noch? Ach ja, die Rettungssanitäter auf dem Oktoberfest, die den lieben langen Tag schwerstbetrunkene und kotzende Hanswürste in Zelte legen müssen. Und dann noch die Notärztin, die die ganze Nacht auf Achse ist, vom Altenpflegeheim über eine Klopperei vor einer Disco und von da aus zu einem alten Mann mit Schlaganfall und – Betrunkene, Betrunkene und nochmals Betrunkene. Gern ist man auch einmal in einer Ambulanz zu Gast, in der all diese Unglückswürmer zur Erstversorgung eintreffen. Stets sieht man im Hintergrund schemenhaft das Pflegepersonal um den Behandlungstisch und durch den Raum sausen, ein Arzt oder eine Ärztin macht irgendwas, man hört den Alarm des Beatmungsgerätes – hier erkennt der Profi sogleich das Fabrikat – und aus dem Nachbarraum wird die Geräuschkulisse einer randalierenden Bierleiche geboten, die soeben wieder auferstanden ist. Poltern, Gegröle, Gelalle, und dann erscheint eine total zerhauene Fresse vor der Kamera: «Woisnmeinefreudnhä?»
Das ist in der Tat sehr authentisch und bietet den Zuschauern am heimischen Herd einen ganz besonderen Grusel, den sie irgendwann mit dem beliebten «Also, ich könnte das nicht!» kommentieren werden.
Manchmal frage ich mich, ob die Zeit nicht doch reif wäre für ein neues Format in diesem unüberschaubaren Dokutainment-Dschungel. Es fehlt mir eine Art ernst zu nehmendes «Diagnostik und Therapie live» für den mündigen Bürger, der ja an sich schon eine ganze Menge weiß. Gut, bei der Ersten Hilfe gibt es sicher noch die eine oder andere Lücke. Wie soll das auch sitzen, etwa zwanzig Jahre nach der Führerscheinprüfung? Aber den einen oder anderen unentbehrlichen Rat kann der Bürger einem schon noch geben.
Vor einiger Zeit brach direkt vor meiner Nase ein sichtlich angetrunkener Obdachloser zusammen. Er stürzte mit einem lehrbuchmäßigen Krampfanfall auf den Gehsteig vor einem Döner-Imbiss und blieb zuckend auf dem Rücken liegen. Sofort kam der Besitzer aus dem Laden gerannt und reichte mir ein zusammengerolltes Tischtuch heraus. «Hier, leg ihm das unter den Kopf, ist doch hart, der Steinboden» und rief per Handy den Krankenwagen. Damit sich der Mann während des Krampfanfalls nicht auf die Zunge biss, stopfte ich ihm etwas ungelenk den Kragen seiner Jacke zwischen die Zähne, weil ich nichts anderes da hatte. Nach wenigen Minuten entspannte sich sein krampfender Körper, und ich tastete etwas hektisch nach seinem Puls – die Vorstellung, bei einem Betrunkenen eine Atemspende durchzuführen, machte mich nervös. Der Puls war tastbar und der Mann atmete, aber er war leider nicht ansprechbar, also beschloss ich ihn in die stabile Seitenlage zu bringen. Mittlerweile hatten sich etliche Schaulustige eingefunden, die allesamt vom Einkaufen kamen – ich kniete vor dem Mann und sah auf eine Reihe Einkaufstaschen, aus denen jeweils eine Stange Porree herausragte.
«Hat denn schon jemand einen Krankenwagen gerufen?»
«Was hat der denn?»
«Der ist besoffen, das sieht man doch!»
«Einer von den Pennern hier.»
Ich fing an, den Mann zu drehen, und das war nicht eben leicht, weil er ja nicht mithelfen konnte. Das Bein anwinkeln – sein Schuh rutschte weg – dann auf die Seite drehen, schwer war er auch, den Kopf überstrecken.
«Muss der Arm nicht da vorne hin?»
«Hat jemand den Krankenwagen gerufen?»
«Das ist doch falsch, das Bein muss doch so – oder nicht?»
Und dann platzte mir plötzlich der Kragen.
«Der Krankenwagen ist alarmiert, und es wäre nett, wenn mal jemand mit anfassen könnte, der Mann ist nämlich schwer und die anderen können dann auch weitergehen, denn der will das bestimmt gar nicht, dass alle von oben auf ihn runterglotzen.»
Ein Murren ging durch die Menge, einige gingen, neue kamen hinzu. Ein junger Mann beugte sich herunter.
«Wenn du mir sagst, was ich machen soll, helf ich mit.»
Wir lagerten den Mann zusammen stabil auf die Seite, von oben kam kein Mucks mehr. Aus der Ferne war das Martinshorn zu hören.
«Sie können dann weitergehen», forderte ich den Kreis aus Klugscheißern erneut auf, die einfach nur froh waren, den «Penner» nicht anfassen zu müssen, andererseits aber auch gerne die erste Geige spielen wollten.
Nach diesem Ereignis überlegte ich, dass eine Erste-Hilfe-Show vielleicht ein guter Einfall wäre und ein probates Gegenmittel für voyeuristische Nichtsnutze – mit Profis vom Fach und illustren Gästen. Zum Beispiel George
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