Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
aus dem Zimmer und wieder hineinrennen, wie in der Hektik Sachen zu Boden fallen gelassen werden und wie nach erfolgreicher Reanimation immer wieder misstrauisch der Patient umschlichen wird. Wenn man mitten in der Nacht stehend einschlafen könnte und keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Wie einen das ganze Gedudel und Gepiepe schlagartig auf die Palme bringen kann, weil es nie, nie, nie ruhig ist, wo man wichtige Dinge übersieht und sich aufs Scheußlichste erschrickt, wenn es einem auffällt – und erst recht, wenn es einem selber nicht auffällt, dafür aber anderen. Wie sehr es manchmal nervt, wenn verwirrte Patienten aus dem Bett steigen oder ein Neuzugang eingeliefert wird. Wie man nach dem Tod eines Patienten, der einen auf irgendeine Art und Weise berührt hat, um den man sich intensiv bemüht hat, jählings einen dicken Kloß im Hals verspürt und fürchtet, man sei «unprofessionell», wenn man den Tränen freien Lauf lässt. Und wie es sich andererseits anfühlt, wenn sich nachts um drei inmitten einer an sich überhaupt nicht lustigen Situation ein Lachflash erster Güte ankündigt, als Vorbote des beliebt-befürchteten «Nach-müde-kommt-doof»-Zustands.
Unsere Abendbrotpause ist zu Ende, wir packen unsere Plastikdosen ein und gehen vor die Tür, um gemeinsam noch eine Zigarette zu rauchen. Den Fernseher machen wir aus, damit die anderen nicht glauben, dass wir uns in der Pause Krankenhaus-Serien angucken. Der Giftzwerg nimmt genießerisch einen Zug und bringt es wie üblich auf den Punkt: «Schwachsinn, diese Serien – oder hast du da eine von den Schwestern rauchen sehen?»
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Walten und verschalten
Kurz vor der Bundestagswahl sah ich einen sogenannten Gesundheitsexperten einer großen Partei, der den Wahlkampf dafür nutzte, sich volksnah zu geben. Zu diesem Zweck wollte er für einen Tag auf einer Station im Krankenhaus «mitarbeiten», und nach relativ kurzer Zeit zogen die Krankenschwestern und -pfleger leicht genervt die Augenbrauen hoch, denn der Gesundheitsexperte erwies sich als wenig hilfreich: Er war lahm wie eine Schnecke und stand bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Zimmern herum, um dort mit den Patienten ins Gespräch zu kommen. Das war jedoch nicht der Sinn und Zweck seines Gastspiels, und so hatte das Pflegeteam lediglich einen prominenten Klotz am Bein sowie das raumgreifend umherwuselnde Kamerateam im Stationsflur.
Der Gesundheitsexperte hatte sicher einen erkenntnisreichen Tag: Es ist eine große Herausforderung, den Ablauf einer Station zu organisieren, auf der lauter Menschen liegen, die man nicht kennt, die verschiedene Bedürfnisse und Erwartungen haben, von denen der eine aufstehen darf, aber nicht will und diejenigen aufstehen, die können, aber nicht dürfen, und wo unter Garantie gerade für das eine oder andere Gespräch keine Zeit übrig ist. Und hoffentlich ist ihm nebenher auch aufgefallen, dass das Krankenpflegepersonal derweil nonstop durch die Zimmer und Flure gewieselt ist, aus den Zimmern zum Telefon, vom Telefon in den Aufwachraum des OP , um einen Patienten abzuholen, und dann zurück und weiter durch Zimmer und Flure.
Die Vorstellung, wir hätten den Gesundheitsexperten auf der Intensivstation zu Besuch gehabt, verursacht in mir eine Mischung aus Bauchweh und Lachanfall. Wir hätten ihn wahrscheinlich nach einer Stunde auf einen Stuhl in eine Ecke gesetzt, damit er nicht im Weg herumsteht.
Andererseits wäre es selbstverständlich gewesen, mit einem solch illustren Gast auch die Kantine aufzusuchen und ihn an der etwas hektischen Nahrungsaufnahme teilhaben zu lassen. Der Gesundheitsexperte gehört ja erwiesenermaßen nicht zu der Spezies, die im Sommer gerne grillt; das Erste, was ihm dazu einfällt, ist nicht etwa das archaisch anmutende «Feuer machen und Beute braten», sondern die Begrifflichkeit «schädliche Substanzen», die aus dem Grillgut eine krebserregende Zeitbombe machen. Insofern wäre der Experte an der Salattheke bestens aufgehoben.
Ich stelle mir vor, wie die Bohnenstange und ich mit dem Gesundheitsexperten im Schlepptau die Cafeteria entern, denn zur Feier des Tages gibt es heute Bratkartoffeln und als Beilage einen Teller Salat. Dagegen hat der Experte auch gar nichts einzuwenden. Wie befürchtet, ist die Schlange an der Essensausgabe lang, sie reicht bis zur Eingangstür. Wir kommen gerade noch hinein, und weil fast der gesamte Verwaltungstrakt am Salatbüfett beisammensteht, schicke ich die
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