Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
Vom Netzwerk:
den Beinen und die Krankenschwestern auch – meinen Sie, ich habe jetzt Lust, Sie davon abzuhalten, dass Sie im Bademantel zur Arbeit erscheinen? Wollen Sie nicht lieber noch die Visite abwarten? Jetzt machen Sie mal keine halben Sachen, das ist doch sonst nicht Ihre Art.» Ich hatte den Bullen unterschätzt, der machte seine Sache gar nicht schlecht. Der Mann zuckte mit den Schultern und willigte schließlich ein.
    «Okay, aber wir nehmen den Fahrstuhl.» Als wir auf der Intensivstation eintrafen, wurden wir fröhlich von der bereits eingetroffenen Frühschicht begrüßt.
    «Na, schon einen kleinen Spaziergang gemacht, die Krankengymnastin wird sich freuen, schon eine ganze Treppe gestiegen, nicht schlecht!», empfing der Giftzwerg den Ausreißer, der mittlerweile etwas trübe guckte, weil er so kurz vor der Freiheit war. Im Bademantel bei etwa zwei Grad über null hätte er dort vermutlich aber auch nicht allzu lange Freude gehabt.
     
    Nach Diensten, in denen ich bei den Patienten keine einzige adäquate Reaktion erlebt habe, sondern nur Gebrüll, wirres Gebrabbel, Abwehr und Aggressionen, habe ich das dringende Bedürfnis, noch jemanden anzurufen oder noch irgendwo nach Dienstschluss einen Kaffee oder ein Bier zu mir zu nehmen, ganz einfach, um vor dem Schlafengehen einen zusammenhängenden Satz zu hören oder eine nachvollziehbare Reaktion auf was auch immer zu erleben. Zudem wirkt ein Durchgangssyndrom auch auf andere Patienten ansteckend: Kaum brüllt der Erste um Hilfe, macht sich Furcht bei den anderen breit. Man brüllt ja nicht umsonst. Sobald der Hilferuf verklungen ist, wird die Station nicht nur als bedrohlich empfunden, sondern auch als ernste Gefahr, gegen die man meint, sich mit aller verbleibenden Kraft zur Wehr setzen zu müssen. Und dann geht es richtig rund.
     
    So manche Fluchtversuche sind jedoch auch von Erfolg gekrönt. Zwei Wochen lang war Herr Schroth letzten Endes auf der Intensivstation, immer wieder desorientiert. Er hatte seine Frau einmal kräftig am Arm gepackt, damit sie bei ihm bleibt, und sie damit erst recht verschreckt, hatte mit Bechern nach den Kollegen geworfen, um anschließend klaren Verstandes zu erklären, dass das sonst gar nicht seine Art sei und er auch nicht wüsste, was da gerade in ihn gefahren sei. Nachts schlief er mit pharmakologischer Hilfe, um tagsüber wieder in ein für alle Beteiligten verwirrendes Wechselbad aus Desorientierung und freundlicher Zugewandtheit zu verfallen. Schließlich wirkte er jedoch auf alle Beteiligten allmählich sortierter, und mit deutlicher Besserung dieses Zustands wagte man schließlich, ihn auf die Normalstation zu verlegen. Und da hatte Herr Schroth endgültig die Nase voll von klinischer Bevormundung: Er stand nachts auf, nahm seine Hose und seinen Pullover aus dem Schrank, schlich sich, weil er seine Schuhe nicht auf Anhieb finden konnte, barfuß von der Station, enterte draußen vor der Tür das erstbeste Taxi, nannte dem Fahrer die Adresse und wies darauf hin, dass er Geld zu Hause habe, seine Frau würde ihn bereits erwarten. Also fuhren die beiden los. Zu Hause bezahlte Herr Schroth den Fahrer wie versprochen und verkündete seiner gleichermaßen irritierten und belustigten Ehefrau, dass er «da nie wieder hinwolle»!
    Frau Schroth erschien am nächsten Morgen in der Klinik – ihr Mann frühstückte friedlich mit dem Sohn, der als verdeckter Aufpasser von der noch misstrauischen Frau alarmiert worden war – und ließ sich den Arztbrief sowie die notwendigen Tabletten für ihren Mann mitgeben. Soweit ich weiß, ist Herr Schroth zu Hause und freut sich seiner Gesundheit. Und seiner Freiheit, für die er so lange erfolgreich gekämpft hat.

[zur Inhaltsübersicht]
Drei Schichten
    Noch nie bin ich eine begeisterte Frühaufsteherin gewesen, und je länger ich im Schichtdienst tätig bin, umso schwerer fällt es mir, um halb fünf aus dem Bett zu steigen und frohen Mutes in den Arbeitsalltag zu starten. Meine Schlafstörungen machen mir mittlerweile so sehr zu schaffen, dass der Arbeitsbeginn um sechs Uhr früh einer Folter gleichkommt. Besonders schlimm ist es, wenn ich am Vorabend um zehn Uhr aus der Spätschicht gekommen bin, denn um auf mindestens fünf Stunden Schlaf zu kommen, müsste ich eigentlich sofort meine Zähne putzen, mich ins Bett legen und ohne vorher noch zu lesen das Licht löschen und – schlafen. Mein Körper und der Geist sind nach acht Stunden Arbeit immer noch völlig auf «Action!» geschaltet,

Weitere Kostenlose Bücher