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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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festzuhalten. Die Bohnenstange fällt vorerst aus, die Eule hingegen ist schon wieder ganz gut beieinander. Inzwischen ist der Star hinzugekommen. Die anderen gucken aus ihren Zimmern und rufen hektisch: «Ich komme gleich!»
    Der Star zieht ein Schlafmedikament auf, der Vollbart bereitet die Kanüle und den Zugang vor und die Eule, der Star und ich werden Herrn Schroth festhalten. Wir ziehen uns Gummihandschuhe und Plastikschürzen an, weil überall Blut klebt. Zuerst traut sich niemand so recht in die Nähe von Herrn Schroth, der mit flackerndem Blick und mit immer heiserer werdender Stimme um Hilfe ruft und uns alle genau im Blick behält. Dann geht alles ganz schnell: Die Eule und ich springen mit raschelnden Schürzen an sein Bett und packen jeweils einen Arm, Herr Schroth brüllt uns dabei direkt in die Ohren und der Star wirft sich quer über seine Beine, nachdem sie dem Vollbart die Kanüle und die Spritze angereicht hat. Sie fängt auf einmal an zu lachen, weil sie von den Beinen des Mannes hin und her geschaukelt wird. Tatsächlich gelingt es dem Vollbart unter verbissener Konzentration, die Nadel in die Vene zu bugsieren. Schleunigst wird eine Infusion angeschlossen, vorsichtig das Schlafmedikament gespritzt, mittels Infusion hineingespült – und auf einmal herrscht Ruhe. Wir lassen Herrn Schroth vorsichtig los, stehen verschwitzt in unseren Plastikschürzen neben dem Bett und atmen allesamt geräuschvoll aus.
    «Meine Fresse», rutscht es mir heraus, «was für ein Fight!»
     
    Natürlich gibt es aber auch Menschen, die im Durchgangssyndrom ganz reizend und witzig sind. Frau Anzug muss auf der Normalstation einen alten Mann reanimieren, der nach einer knappen Minute die Augen wieder aufklappt und erstaunt um sich blickt. Sein Blick bleibt an der Ärztin hängen, die im grünen Kittel vor ihm steht und gerade Luft holt, um ihn anzusprechen. Er lächelt milde, guckt Frau Anzug an und sagt: «Sie sind so eine schöne Frau!»
    Frau Anzug atmet geräuschvoll wieder aus; damit hat sie nicht gerechnet. Sie lächelt geschmeichelt und macht sich gemeinsam mit dem Patienten und dem Reanimationsteam auf den Weg auf die Intensivstation. Auf dem Flur kommt ihnen der Vollbart entgegen, der den Mann weiter betreuen wird. Der Vollbart tritt an das Bett und stellt sich seinem neuen Patienten vor. Aber auch ihm wird das gleiche Lächeln zuteil, das gleiche Kompliment: «Sie sind so eine schöne Frau!»
    In diesem Moment beschließt Frau Anzug, dass es genau der richtige Augenblick ist, eine Rauchpause einzulegen.
     
    Menschen entwickeln verblüffende Fähigkeiten, wenn sie sich bedroht fühlen und den Ort des Schreckens verlassen wollen. Wie Houdini, der Entfesselungskünstler, winden sie sich aus Bauchgurten, die sie am Verlassen des Bettes oder einem unnötigen Sturz hindern sollen. Sie stehen vor dem Bett, haben sich aus den EKG -Kabeln einen schicken Gürtel gebastelt, der das hinten offene Hemd sittsam zusammenhält, bedanken sich höflich «für all die Mühe» und versuchen die Station zu verlassen. Ohne Schuhe, ohne Zahnprothese, ungekämmt und komplett verwirrt. Frühmorgens kurz vor Dienstschluss verbrachten eine Kollegin und ich einmal eine nervenaufreibende halbe Stunde in der Eingangshalle des Klinikgebäudes, nachdem der Patient zielstrebig von der Intensivstation geeilt war, die ihm entgegenkommenden Putzfrauen freundlich grüßend. Weil er uns mit «Ich hau euch windelweich!» drohte und selbstverständlich auch sämtliche Zugänge entfernt hatte, blieben wir ihm zwar auf den Fersen, kamen ihm aber vorsichtshalber nicht allzu nah. Der diensthabende Arzt hatte mittlerweile die Polizei verständigt und beim sozialpsychiatrischen Notdienst um Rat gefragt. Bis diese eintrafen, saßen wir allerdings nutzlos in einer auf schick getrimmten Sitzecke, gemeinsam mit dem Bettflüchtling, der uns ignorierte. Ich fragte mich gerade, wie lange das alles noch dauern würde, war müde und ratlos angesichts dieser verwirrten «Fang-mich»-Spiele, als zwei Polizeibeamte die Halle betraten. Der eine war klein und stämmig, der andere lang und dünn und schaute so drein, als könnte er nicht bis drei zählen.
    «Ich werde hier festgehalten», eröffnete der Patient die Verhandlung.
    «Das ist auch richtig so», antwortete der kleine Polizist. Der Große verfolgte die Flugbahn eines Brummers in der Eingangshalle.
    «Sie sind schwer krank, und wissen Sie», wurde der Kleine vertraulich, «ich bin schon die ganze Nacht auf

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